Kennen Sie Ümit Memisoglu? Sollten Sie, denn der Mann kann kochen und betreibt einen der größten Social Media-Kochkanäle in Deutschland. Dabei kam eher durch Zufall an den Herd. Ümit isst einfach gerne und gut und stellte fest, dass an Mamas Küche einfach kein Restaurantessen rankommt. Also stellte er sich selbst an den Herd.
Das ist an und für sich ja noch nichts Besonderes – viele Männer kochen. Ümit ist aber auch Luft- und Raumfahrtingenieur, der viel Technik-Blogging machte. Seine Kochaktionen filmte er mehr oder weniger, um zu üben. Seine Schwester überredete ihn jedoch, diese Videos online zu stellen. So wurde Ümit über Nacht zum Social Media Koch.
Im Januar 2019 gründete er die Social Media-Kochkanäle Umihito.Vlog auf Instagram und Umihito auf TikTok – heute hat er auf TikTok mehr als 1,1 Millionen Follower. Das hat Ümit nicht erwartet. Seine authentischen, immersiven und motivierenden 60 Sekunden Koch-Vlogs mit ganzen Menüs, schnellen Schnitten, einer dynamischen Kamera und originalem Sound kommen gut an. Auch deshalb, weil in ihnen das Gericht – meist türkische Küche – die Hauptrolle spielt und nicht der Koch. GUSTOrazzo hat mit Ümit gesprochen, leider nur virtuell. Wir hätten ihn ja gerne besucht, ihm beim Kochen zugeschaut und dann eines seiner leckeren Gerichte probiert. Gin leider im Februar nicht.
Ümit, Du hast eine Website, bist auf TikTok, Instagram, Pinterest, Linkedin aktiv und hast dort überall zahlreiche Follower – allein auf Tiktok mehr als 1,1 Millionen. Wie erklärst Du Dir Deinen Erfolg?
Wirklich erklären kann ich mir das selbst noch nicht. Der Start der Kochkanäle im Januar 2019 war einfach eine Verkettung von Zufällen, die damit begonnen hat, dass ich Chinesisch in der Uni gelernt habe. Ursprünglich komme ich aus dem Maschinenbauingenieurswesen, genauer gesagt Luft- und Raumfahrttechnik. Da ich meine Kenntnisse praktisch ausbauen wollte, habe ich mich für ein Gewinnspiel eines Online-Technikmagazins beworben und gewonnen, sodass ich nach China und dann auf die MWC Technik-Messe in Barcelona durfte. Dort habe ich viele Leute aus der Medienbranche kennengelernt und wurde so eher nebenbei zum Technik-Blogger und Experten für diverse bekannte Portale.
Da ich dort auch viel mit Videos gemacht habe, habe ich mich an unterschiedlichen Videostilen versuchen und mich letztendlich von Regisseuren wie Edgar Wright inspirieren lassen. Das Ziel war es, immersiv eine Geschichte von Anfang bis Ende zu erzählen – jedoch ohne Erzählung, ohne Musik, aber dafür mit originalem Ton und schnellen Schnitten ohne Zeitraffer, auf ursprünglich 15 Sekunden bzw. aktuell eine Minute komprimiert.
Ich ließ mich beim Kochen filmen, da ein Kochprozess die beste und verständlichste Geschichte ist, die man erzählen kann. Es gibt viele Details, man kann viel mit Ton machen, die Variation an unterschiedlichen „Geschichten“ innerhalb eines Menüs ist extrem groß.
Als ich eine stattliche Zahl an Videos hatte, die eigentlich in meiner Festplatte hätten verbleiben sollen, hat meine Schwester vorgeschlagen, die Videos mal bei TikTok hochzuladen, da die Plattform gerade voll im Trend sein sollte. Das habe ich getan. Schon der erste Upload ging viral, der zweite Upload erreichte fast eine Millionen Leute und so kam es, dass daraus wöchentliche Uploads wurden und der Kanal in etwas mehr als zwei Jahren auf 1,1 Millionen auf TikTok und 550.000 Follower auf Instagram gestiegen ist.
Mein Rekord aktuell ist ein Kohlrouladen-Video mit 24 Millionen Views, was ich selbst nicht glauben kann. Nationalspieler wollen plötzlich Rezepte von mir, Stars wie Billie Eilish liken ein Video, wo ich Berliner mache. Das sind alles für mich unvorstellbare Zahlen und Ereignisse, dafür, dass ich einfach nur Videos erstellt habe, die ich selbst gerne in der Form geschaut hätte.
Jeder sieht in den Videos etwas Anderes, ein Kommentar indes fällt am häufigsten: „Ich bekomme das Gefühl, in die Küche zu gehen und es sofort nachkochen zu können“. Ich glaube hier spielt die Immersion, die damit verbundene Motivation und das Kennenlernen von Gerichten aus der ganzen Welt eine Rolle.
Woher kommt Deine Leidenschaft fürs Kochen und Backen? Hast Du Dir das alles selbst beigebracht?
Die große Chefköchin in der Familie war immer meine Mutter, die uns jeden Tag das beste Essen gemacht und sich alles selbst beigebracht hat. Zu Beginn des Studiums, als ich nach Aachen gezogen bin, war ich daher an einem Punkt, an dem ich ungern draußen gegessen habe, denn nirgendwo schmeckt es wie Zuhause. Entsprechend war ich nach kurzer Zeit des Alleinlebens motiviert, täglich zuhause selbst zu kochen und von meiner Mutter zu lernen, wann immer ich meine Eltern besucht hatte. Was man alles aus einfachen Zutaten machen kann und allgemein das Experimentieren, das hat mir besonders viel Spaß gemacht und Motivation gegeben.
Deine bevorzugte Küche?
Überwiegend orientiert sich das Essen an der türkischen Küche, vor allem um die Region Elazig herum, wo auch meine Eltern herkommen und weil dort eine sehr reiche Essenskultur herrscht. Es kommen aber auch oft Gerichte anderer türkischer Regionen, westliche Gerichte, asiatische Gerichte oder Gerichte aus dem arabischen Raum vor. Tatsächlich wäre ich mit türkischen Gerichten alleine vermutlich eine Ewigkeit gut bedient, aber ich versuche immer das in die Videos einzubauen, was ich auch tatsächlich im echten Leben koche und esse.
Du postest ja nun schon einige Jahre – woher bekommst Du Ideen für neue Rezepte. Hat sich Deine Kochweise im Laufe der Jahre verändert?
Das wichtigste für mich ist bei den Videos der authentische Teil. Der einfachste Weg hier authentisch zu bleiben, ist quasi den Leuten die Gerichte authentisch zu präsentieren. Das gelingt vor allem dann, wenn man alles so zeigt, wie es auch ist. Bedeutet: Es sind bis heute nur Gerichte oder Menüs in den Videos zu sehen, die an dem Tag auch tatsächlich so gekocht und gegessen worden wären. Alles was zu künstlich wirkt, schreckt doch meist ab.
Dazu wird alles nach Augenmaß, also ohne Rezept gekocht. Das ist nicht das Videokonzept, sondern wie ich persönlich auch in echt koche. So entstehen manche Gerichte in den Videos auch völlig spontan, selbst wenn Zutaten für ein anderes Gericht auf dem Tisch stehen. Es kommt also vieles aus einer Kombination aus Erfahrung, Flexibilität und dem Interesse für unterschiedliche Essenskulturen.
Wie sieht denn Deine Küche aus? Und welche Küchenwerkzeuge sind Deine Favoriten?
Es ist eigentlich nur eine ganz normale Küche und im Großen und Ganzen nichts Besonderes. Meine Favoriten sind aber Öfen aller Art. Sei es der Ofen in der Küche, der Outdoor-Ofen oder der Grill mit optionalem Pizzastein. Ich liebe es einfach damit zu arbeiten, vor allem, wenn etwas mit Teig gemacht wird. Der Geruch von frischem Brot ist unerreicht.
Was darf in Deinem Kühlschrank nicht fehlen?
Selbstgemachter Joghurt. Es gibt keinen Tag für mich ohne einen Topf mit frischem, selbstgemachten Joghurt. Das war bei meiner Mutter so und ist bei mir auch nicht anders.
Gibt es ein Lieblingsrezept?
Schwierig, sich hier für ein Gericht zu entscheiden, aber da wäre zum Beispiel „Manti“, kleine mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen in Joghurt mit Knoblauch und mit Paprika-Butter-Soße oben drauf. Alle Arten von Sarma oder Rouladen aus Weinblättern, Kohl, aber auch gefüllte Spitzpaprika und ähnliches. Wok-Nudeln mit Gemüse, alle möglichen Börek-Arten, Pizza und so viel mehr.
Wie oft postest Du neue Gerichte?
Im Serienformat einmal die Woche, jeden Sonntag.
Wie kann ich mir so eine Produktion vorstellen?
Ich kann nicht bis ins Detail gehen, da es sonst zu lang wird. Der Grund für das wöchentliche Format ist nicht nur, um eine Übersättigung bei den Zuschauern zu vermeiden, sondern weil die Produktion und der Schnitt immer aufwendiger werden. Für die meisten Videos brauchen wir rund 10 bis 15 Stunden mit Kochen und Schnitt, aber ich hatte auch Videos, die die 20 Stunden Marke überschritten haben. Natürlich handelt es sich um 60-sekündige Videos, aber es entsteht meistens bis zu 60 Minuten Videomaterial über mehrere Kameras, was auf 60 Sekunden gekürzt werden muss. Ich muss dann entscheiden, welche Szenen drin bleiben, welche Perspektiven am besten passen …
Meist nutze ich die drei Sekunden Regel, wie das George Lucas mit Star Wars gemacht hat. Was mir innerhalb drei Sekunden Betrachtung intuitiv am besten gefällt, bleibt drin.
Arbeitest Du alleine?
Zu Beginn habe ich vieles alleine gemacht. Mittlerweile sind wir sein Team, was zum Teil auch aus Familienmitgliedern besteht. Alleine wäre das auf jeden Fall nicht so einfach. Auch beim Kochen ist es gut, ein zweites Paar Hände zu haben. Den Videoschnitt mache ich aber immer komplett selbst.
Wie ist der Austausch mit Deinen Followern, gibt es zu Deinen Rezepten Nachfragen?
Generell sehr positiv. Ich denke, die Zuschauer sind sehr offen für das, was ich mache, weil ich mit allem sehr transparent umgehe. Es geht nie um mich und selbst etwaige Werbekooperationen sind in den Content so authentisch eingebaut, dass die Videos und deren Qualität nicht darunter leiden. Das führt dazu, dass die Leute trotz des gesponserten Inhaltes die Videos schauen, da ich nicht versuche, den Leuten etwas zu verkaufen.
Wer sich für das Kochen interessiert, schaut meist eher darauf, wie man von A nach B mit dem jeweiligen Produkt kommt. Dabei achte ich gezielt darauf, dass es etwas ist, was zu mir passt und was ich privat auch verwenden würde. Das führt witzigerweise sogar dazu, dass Leute gespannt auf die nächste Kooperation warten, weil sie sehen wollen, was ich als nächstes einbaue und was wir damit machen. So hatte das letzte Video mit einem Allesschneider insgesamt 8 Millionen Views.
Nach Rezepten wird gerade bei neuen Zuschauern gefragt. Ich hatte auch schon Rezeptanfragen von deutschen Nationalspielern. Es gilt aber weiterhin, dass das Video das Rezept ist, weil nach Augenmaß gekocht wird. Das schließt natürlich nicht aus, dass es irgendwann ein Kochbuch geben könnte, sobald ich die Zeit habe, mich damit zu beschäftigen.
Interview: Christine Dicker
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