„Marken sollten eine Beziehung zu ihren Kunden aufbauen. Das sind die Endverbraucher, nicht die Händler“, stellt Stefan Ramershoven, Gründer des Webportals Kjero, in einem Beitrag für die „Computerwoche“ Anfang Mai fest. Er fordert eine radikale Hinwendung zum Direktvertrieb, neudeutsch: Direct to Consumer oder auch D2C. Die technischen Möglichkeiten einer direkten, persönlichen Kundenansprache könnten heutzutage weitestgehend vollautomatisch und sehr effizient erfolgen. Etablierten Marken, die an gewachsenen Vertriebsstrukturen festhielten, kämen unweigerlich aufs Abstellgleis.
Und in der Tat mischen – beim Blick über die Branchen-Grenzen – junge D2C Brands ohne gewachsenen Vertriebs- und Technologiestrukturen, oft geführt von kreativen Digital Natives, die wie ihre Zielgruppe ticken, den Markt auf. Und die Elektro-Branche? Bleibt sie (zunächst?) unberührt vom D2C-Hype der jungen Wilden?
Dabei ist D2C bereits ein alter Hut. Zumindest für Vorwerk. Und auch Dyson macht mit eigenen Markenstores und vielen TV-Spots in den vergangenen Wochen Werbung für den Kauf direkt vom Hersteller. Wenn dann auch Marken wie Rösle die Eröffnung eines Premium-Stores im McArthur Glen DesignerOutlet in Neumünster verkünden, Miele seit Jahren mit „Showrooms“ in Berlin, Amsterdam und Brüssel, Samsung auf der Zeil in Frankfurt und Bosch mit drei eigenen Markenstores in Österreich direkten Kundenkontakt aufbauen, stellt sich die Frage, ob das den etablierten, mehrstufigen Vertrieb in der Hausgeräte-Branche verändert.
Alle technischen Voraussetzungen, Herkömmliches durch cloudbasierte Software-Modelle zu ersetzten, sind vorhanden. Wie stellen sich die Verbundgruppen expert und Euronics dem D2C-Hype? „Lieferanten und Händler haben unterschiedliche Kernkompetenzen. Auf die jeweilige Kernkompetenz muss die Fokussierung ausgerichtet sein. Wir sind überzeugt davon, dass es unsere Kernkompetenz ist, den direkten Kontakt zu den Kunden zu haben“, hält Frank Harder, expert-Vorstand für Vertrieb, Marketing und e-Commerce fest.
Harder führt weiter aus: „In unseren expert-Fachgeschäften und -märkten können wir mit Hilfe unseres geschulten und hochqualifizierten Personals die individuellen Bedürfnisse der Kunden erfassen und so das beste Produkt mit der besten Dienstleistung empfehlen“. Bleibt freilich die Frage, warum es so bleiben soll, wenn Anbieter effiziente, digitale Wege nutzen können, um Daten zu Kundenbedürfnissen zu sammeln.
Benedict Kober, Sprecher des Vorstands von Euronics Deutschland führt ins Feld, „dass Handel und Marken unterschiedliche Aufgaben haben. Der Handel bietet den Kunden eine hohe Verfügbarkeit der Produkte auch außerhalb der Metropolen und eine fachkundige Beratung, und das nicht nur zu einer Marke, wie in Mono-Marken-Stores üblich.“ Kober gibt im Gespräch mit infoboard.de zu bedenken, dass Direktvertrieb ja nicht per se unmoralisch sei.
Doch der Einzelhandel ist nach seiner Auffassung unersetzbar und muss eingebunden sein. „Die Einzelhändler pflegen teils langjährige persönliche Beziehungen, haben Zugang zu den Haushalten der Kunden und genießen deren Vertrauen.“ Euronics könne den Direktvertrieb nicht unterbinden. Aber: „Wir fordern beim Direktverkauf immer eine Einbeziehung der Händler beispielsweise mit Serviceaufträgen oder ‚Mit-Schwimm-Angeboten‘ bei Preisaktionen, wie zum Black Friday, um die Preiswürdigkeit der Euronics-Händler sicherzustellen. Im Endeffekt darf D2C nur eine Abrundung der Absatzkanäle darstellen und nicht das Hauptabsatzinstrument.“
Frank Harder verneint, dass Industriepartner von expert den Kontakt zum Endkunden benötigt, um bedarfs- und zukunftsorientierte Produkte zu entwickeln. „Im Prozess, das Nutzungsverhalten zu analysieren, unterstützen wir mit unserem Branchen-Knowhow bei Bedarf sehr gern. Einem direkten Verkauf, über welchen Kanal auch immer, stehen wir äußerst kritisch gegenüber und würden, wenn überhaupt, nur ein eng abgestimmtes Vorgehen begrüßen.“
Harder betont: „Bei wertigen Markenprodukten sollte die individuelle Beratung im Vordergrund stehen. Dies ergänzt durch vielfältige Services und Dienstleistungen. Der qualifizierte Fachhandel mit seinen kompetenten Fachberatern ist genau darauf ausgerichtet, weshalb wir entsprechende Herstellermaßnahmen im Direktvertrieb eher kritisch sehen.“
Einkaufserlebnisse vor Ort sind das Salz in der Suppe, meint Harder. „Der Kunde will die tollen Produkte anfassen, sie erleben! Um dieses Erleben auch Zuhause genießen zu können, sind wir mit der kompetenten Beratung, individuellen Produktauswahl sowie notwendigen Dienstleistungen am besten für den Kunden da. Damit ist sichergestellt, dass der Kunde mit seiner Produktauswahl auch Zuhause zufrieden ist und sein Produkt genießen kann“, erklärt Harder.
Kober macht darauf aufmerksam, dass der Einzelhandel die digitalen Touchpoints zum Endkunden ausbauen sollte. „Viel Wert auf persönliche Vor-Ort-Beratung zu legen und Online-Kontakte auszubauen, ist kein Widerspruch. Wir unterstützen unsere Mitglieder beim Aufbau digitaler Touchpoints, auch, um starke Angebotswerbung für Qualität, Kompetenz und Servicebereitschaft mithilfe von Storytelling optimal zu kommunizieren.“
Gymnastik-Klamotten, Beauty-Produkte und Tierfutter legen in D2C-Kanälen mitunter atemberaubende Umsatzentwicklungen hin. Doch das Erfolgsstrickmuster stößt bei schwer versendbaren, servicebedürftigen Technikprodukten mit hoher Lebensdauer an seine Grenzen. Ganz bestimmt aber kommt es darauf an, das Tauziehen um den besten Draht zu Kunden zu gewinnen. Etwaige digitale Schwächen muss der Handel (auch mit Hilfe der Verbände) hinter sich lassen.
Lesen Sie zu diesem Thema auch unser Interview mit dem langjährigen MediaSaturn-Top-Manager Wolfgang Kirsch. Das Interview finden Sie hier.
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