Und so wundert es nicht, dass die „Stationären“ – Ingolstadt trommelt hier derzeit am lautesten – verstärkt die Online-Aktivitäten und deren Chancen ins Zentrum ihrer Kommunikation stellen, während die Pure-Onliner immer mehr stationäre Stores eröffnen. Und das nicht nur auf der anderen Seite des Teichs, sondern auch in Berlin, » München und Köln. Beide (Einkaufs)Welten gleichen sich an. Das anonyme Internet und die reale Einkaufswelt – sie passen besser zusammen als gedacht.
Beginnen wir im Herzen Berlins, in Mitte, und wechseln kurz die Branche: Denn der Blick über den Tellerrand kann manchmal ganz hilfreich sein. In der Brunnenstraße am Rosenthaler Platz eröffnete vor gerade mal zwei Jahren eine Buchhandlung, die so ganz anders war, als das, was man bisher von Thalia & Co. kannte. Eben „not just another bookstore“, wie es in der Eigenwerbung hieß. Hier, in der Buchhandlung Ocelot, gingen nicht nur das Feuilleton und die Branchen-Größen ein und aus. Hier lies sich, scheinbar muss man heute leider schreiben, die Zukunft des Buchhandels – eine Branche, die von Amazon & Co gebeutelt wurde wie keine Zweite – bestaunen.
Das edle Ladengeschäft war auf „cross-channel“ ausgerichtet wie kein zweites, galt nicht nur in der FAZ als „Zukunftslabor des stationären Handels“. Ocelot war mit reichlich Applaus von allen Seiten auf dem Weg zur digitalen Buchhandlung. Damit ist erst einmal Schluss, Bestellungen werden auf der Homepage nicht mehr entgegen genommen. Insolvenz! Gründe? „Ich habe die Herausforderungen eines unabhängigen, anspruchsvollen Onlineshops nicht hoch genug eingeschätzt“, wird Gründer Frithjof Klepp in „Buchreport“ zitiert. Ein Selbstläufer ist Multichannel also nicht.
Dazu passt: Nicht wenige stationäre Händler agieren – branchenübergreifend – seit Monaten wie aufgeschreckte Hühner, denn Sie haben erkannt: Es muss etwas geschehen. Nur was? „Wir haben in Deutschland rund 400.000 Handelsunternehmen plus weitere Filialen. Man stelle sich vor, alle diese Händler wollen einen eigenen Shop für den eCommerce eröffnen. Doch wenn der Firmeninhaber schon heute im stationären Geschäft über mangelnde Frequenz klagt, dann wird er auch im Internet in der Regel über ebenso mangelnde Frequenz klagen, weil er mangels Marketing-Power nur die berühmte Stecknadel im Heuhaufen darstellen wird“, so der Kölner Handelsexperte Ulrich Eggert.
Man schaue sich nur mal den Traffic auf den Internet-Seiten unserer Branche an, dann zeigt sich ganz schnell: Es gibt einige, wenige Gewinner aber ungezählte wie fast unsichtbare Stecknadeln im Heuhafen. Ein paar Beispiele: Amazon liegt hierzulande auf Rang 3 der am häufigsten besuchten Seiten, Media Markt hält sich wacker auf 101, Saturn respektabel auf 148. Und die Verbundgruppen? Expert liegt aktuell auf Rang 2.213, Euronics ist mit Rang 2.259 fast Nachbar. Dann geht es bergab: Ekinova, die Online-Hausgeräte-Tochter von Otto, liegt auf Rang 6.088 und der mit viel Tamtam in den Wirtschaftsmedien begleitete Start von AO verhalf auch erst mal nur für Rang 6.369. Wie will sich hier der familiengeführte, vielleicht gar verbundgruppenunabhängige Händler Gehör verschaffen? Selbst ein unbestrittener Platzhirsch und Vorzeige-Betrieb wie Expert Bening rangiert mit seiner eigenen Homepage (Rang 85.341) beinahe unter „ferner liefen“. Und der große Rest: Am Rande der Wahrnehmungsschwelle.
Dabei hat die Lage etwas Absurdes an sich: Wer nicht ins Internet geht, verliert Umsatz. Und wer einen E-Shop – siehe Ocelot in Berlin – aufmacht, verliert Geld durch enorme Kosten. Das Geld also sofort verlieren oder über Umwege? Pest oder Cholera? So scheint es zumindest.
Gibt es Auswege? Gibt es Wege, um in dieser Situation auch perspektivisch noch Umsätze zu machen und Geld zu verdienen? Ja, sagt Ulrich Eggert und versucht dazu in einer aktuellen Studie „Handel & Internet“ Antworten zu geben: „Der Händler muss sich selbst zur Marke machen, sonst geht er unter, sonst wird er nicht gefunden, sonst ist er nur eine von 400.000 Nadeln im deutschen Heuhaufen!“
Eines ist sicher: Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten, sie bildet sich als vierte industrielle Revolution heraus, indem wir von der Digitalisierung der Daten zur Digitalisierung der Dinge und Maschine-zu-Maschine-Kommunikation übergehen. Und es sei, so Eggert, abzusehen, dass die Überlebenschancen des stationären Handels immer geringer werden und dass eCommerce Schritt für Schritt weitere Märkte erobern und letztlich dem stationären Handel in vielfältiger Form die Umsatzbasis rauben werde. Deshalb erscheint es (nicht nur für Eggert) unausweichlich, dass der stationäre Handel sich stärker mit dem eCommerce befasst. Neben der eigenen Homepage, auf die, vergessen wir mal das Ranking, kein stationärer Händler verzichten kann, bieten sich derzeit vier Wege für das Thema eCommerce an:
Der Verkauf über die globalen Marktplätze wie Amazon und eBay – aber eben auch über regionale Marktplätze – ist nicht nur als Notstopfen, sondern durchaus als sinnvoller Lösungsweg anzusehen. Es wird für viele Händler immer wichtiger werden, mehrere Wege im eCommerce zu gehen. Eggert: „Wir brauchen Multi Channel, Omni Channel und Everywhere Channel – und das Ganze im Cross Channel. Damit ist gemeint: Alle Wege zum Verbraucher müssen genutzt werden bzw. der Verbraucher muss die Chance haben, alle Wege gehen zu können, die ihm gefallen. Und er muss in der Lage sein, zwischen diesen einzelnen Wegen nach Lust und Laune wechseln zu können.“
Nach aktuellen Hochrechnungen des IFH Köln steuert der Online-Handel 2014 auf ein neues Rekordhoch zu: Das Marktvolumen wird knapp 43 Milliarden Euro erreichen. Wenig überraschend: Die Internet-Pure-Player können ihren Anteil am Gesamtmarktvolumen erneut ausbauen und entwickeln sich mit knapp 16 Milliarden Euro Umsatz weiterhin zur dominierenden Vertriebsform. Doch jetzt kommt’s: Die Ergebnisse des neuen „IFH-Branchenreport Online-Handel“ zeigen, auch die stationären Händler mit ihren Online-Shops behaupten ihre Position im E-Commerce und können die zwischenzeitlichen Anteilsverluste teilweise sogar wieder aufholen. Im Jahr 2014 werden über diesen Vertriebsweg rund 13 Milliarden Euro umgesetzt – das entspricht einem Plus von 15 % im Vergleich zum Vorjahr. Damit geben die deutschen Online-Shopper fast jeden dritten Euro in den rund 80.000 Online-Shops ursprünglich stationärer Händler aus.
Obwohl hart umkämpft, liefert der Sortimentsbereich Consumer Electronics und Elektro dem „Stationären Handel Online“ seit 2011 kontinuierlich wachsende Umsatzanteile. „Produkte im Bereich CE und Elektro haben eine hohe Affinität zum Online-Vertrieb. Ein Wettbewerbsplus der ursprünglich stationären Händler im eCommerce ist der Vertrauensvorschuss der Konsumenten und die Bekanntheit der Händlermarke“, erklärt Hansjürgen Heinick, Autor der Studie und Senior Consultant am IFH Köln. Er ergänzt: „Vor allem die Online-Shops von Media Markt und Saturn haben die Größenverteilungen im Web verändert. Ihr Erfolg hat zu den deutlichen Verschiebungen der Marktanteile zugunsten der „Stationären Händler Online“ beigetragen.“
Die starke Position der „Stationären Händler Online“ im Bereich CE und Elektro zeigt sich übrigens bis auf die Ebene der einzelnen Konsumgütermärkte. So werden 2014 beispielsweise rund 41 % des Online-Umsatzes mit Elektro-Kleingeräten in den Online-Shops der stationären Händler erwirtschaftet. Internet-Pure-Player kommen hier lediglich auf einen Umsatzanteil von 22,5 %.
Auch in der neuen Einkaufswelt von Amazon & Co. hat der klassische Handel auch künftig seine Chance – wenn er mittels Multichannel seine Einkaufswelten sinnvoll miteinander verknüpft. Es ist kein Zufall, dass nach Cyberport und Media Markt nun auch Saturn eine Multichannel-Pilot-Filiale eröffnet hat (siehe Markt & Branche in dieser Ausgabe). Vieles ist möglich, fast alles geht: Beraten, informieren, aussuchen, bestellen, kaufen, abholen, liefern, umtauschen. Das alles so, wie es dem Kunden und seiner augenblicklichen Lebenssituation gerade passt.
Und ja, es spricht viel für den pfiffigen, stationären Händler: Die Sinnlichkeit der Einkaufsgestaltung, die Inszenierung am Point of Sale, der ganz persönlicher Verkauf, die kompetente Beratung, die sofortige Inbesitznahme der gekauften Ware, sogar schnelle Ergänzungslieferungen gehen problemlos bis an die Haustüre und manchmal auch darüber hinaus.
Die Ware ins Regal stellen, verbunden mit der Hoffnung, dass jemand – zumeist über den Preis – kauft, das war gestern. Klar gibt es das heute auch noch – habe ein aktuelles Beispiel vor Augen: Filtermaschine an Filtermaschine, Toaster and Toaster, Staubsauger an Staubsauger, aufsteigend nach Wertigkeit, Design und Ausstattung. Oder eine ganze Armee an Kühlschränken, vorzugsweise in Weiß oder Edelstahl. Kein Berater in Sichtweite. Schlimmer noch: Die Handzettel zu den Verkauffsaktionen werden im Kühlschrank-Inneren geradezu versteckt. Das alles mit den Charme eines Abhollagers in Rudis Resterampe. Konsequenz: Gähnende Leere in den Gängen, obwohl es hier sechs Wochen vor Weihnachten brummen müsste.
Und doch hat das Internet für den stationären Handel viel Gutes, nähmlich die Rückbesinnung auf das, was erfolgreich Handeln bedeutet: Service bieten, Dienstleistungen – mit Betonung auf Dienst und Leistung – erbringen. Das sind längst vergessen geglaubte Tugenden. Aber ungemein modern und erfolgreich in Zeiten des Multichannels und digitalen Lebensstils.
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