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Blaupause für den Innenstadt-Handel? Düsseldorfs neue Mitte

Was für eine Binse: Handel ist Wandel! Und doch so zutreffend wie nie zuvor. Wenn denn Corona ein extrem schmerzhafter Nadelstich für die Branche ist, dann wird die digitale Transformation wie ein Presslufthammer für den Handel wie die Innenstädte wirken. „Corona hat den Einzelhandel stark getroffen, aber auch die Digitalisierung im Handel noch einmal beschleunigt“, so NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart anlässlich des eCommerce-Tages der NRW-Landesregierung im Juni.

Boris Hedde, Geschäftsführer beim Kölner Institut für Handelsforschung, bestätigt: „Durch die Pandemie wurden rund fünf Jahre Entwicklung des Online-Handels übersprungen.“ Was das für den Handel in den Innenstädten bedeutet? Er befindet sich in einem tiefgreifenden, rasanten Umbruch. Großflächige Geschäfte, gar über mehrere Etagen, werden immer seltener. Nicht wenige Handelsketten verkleinern ihre Filialen, nutzen diese eher als Schaufenster für ihr Sortiment, ihre Labels, ihre Dienstleistungen.

Anschauungsunterricht par excellence bietet da seit geraumer Zeit die NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf. Hier wurde in den vergangenen Jahren zwischen den Einkaufsmeilen Königsallee („Kö“) und er Schadowstraße nicht weniger als eine neue Mitte, ein neues Herz, mit der Handschrift von Top-Architekten aus dem Boden gestampft. Immer öfter prägen hier Marken-Stores wie Apple und demnächst auch Miele, aber auch Pure-Onliner wie Coolblue das Bild, während sich Teile des klassischen Handels auf dem Rückzug (Modehandel) befinden oder sich deutlich verkleinern (Saturn). Allesamt Entwicklungen, die schon vor Corona angestoßen wurden, durch die Pandemie indes noch einen Booster bekommen haben.

Bestes Beispiel ist das Einkaufszentrum „Sevens“ an der Königsallee. Der Name „Sevens“ leitet sich aus den sieben Etagen des im Oktober 2000 eröffneten Shoppingcenters ab. Sieben Etagen für den Handel benötigt heute kein Mensch mehr. Hauptmieter der luxuriösen Handelsimmobilie ist die Fachmarktkette Saturn, die im Jahr 2011 gleich fünf Etagen bezog und damit rund 11.000 der insgesamt 19.000 Quadratmeter belegt. Mit diesem potenten Ankermieter änderte das Shopping-Center auch seinen Namen: „sevens – Home of Saturn“.

Tempi passati. Nach übereinstimmenden Medienberichten soll das „Sevens“ ab 2022 komplett umgebaut werden. Saturn soll seine neue Heimat dann nur noch auf zwei Obergeschoss-Etagen finden, die drei Etagen darüber sollen laut „Rheinische Post“ in Büroflächen umgewandelt werden. „Repositionierung“ lautet das Zauberwort, das u.a. mehr Tageslicht, eine neue Haustechnik sowie mehr Energieeffizienz auf der „Haben-Seite“ haben soll.

MediaMarktSaturn kommentiert diese Pläne nicht offiziell, doch ist bekannt, dass die XXL-Flächen von MediaMarkt und Saturn in besten Innenstadt-Lagen der Konzern-Mutter Ceconomy wie ein Mühlstein um den Hals liegen. Dass bei MediaMarktSaturn die Zeichen auf Veränderungen stehen – im Konzerndeutsch heißt es dann „fortlaufende Überprüfung des Markt-Portfolios auf Möglichkeiten zur Optimierung´“ – weiß inzwischen jeder. Im Klartext geht es um die Verkleinerung von Flächen (nicht nur in Düsseldorf), Neueröffnungen (die gibt es auch!), aber eben auch Schließungen.

Samstags bilden sich Schlangen vor dem Eingang: die Apple-„Kathedrale“ in Düsseldorf. Foto: infoboard.de

Auch hierfür liefert Düsseldorf ein Beispiel: Der Saturn-Markt im B8-Center im Stadtteil Flingern sollte zwar eh Ende September schließen, wurde dann aber in einer Nacht- und Nebel-Aktion am ersten Juli-Wochenende ohne Vorwarnung dicht gemacht. Kunden standen an einem Montagmorgen vor verschlossener Tür, Bestellungen oder reparierte Geräte ließen sich nicht mehr abholen.

Lange Zeit galt im stationären Handel das Credo, dass mehr Fläche und mehr Produkte für mehr Kunden und Umsatz stehen. Mit den veränderten Kundenanforderungen gilt dies nicht mehr uneingeschränkt. Mehr Erlebnis, mehr Beratung, mehr Convenience und mehr Service sind heute gefragter denn je. MediaMarktSaturn trägt dieser Entwicklung Rechnung.

Neue Heimat Kö-Bogen

Nur wenige Autominuten entfernt lässt sich derweil die Zukunft des Handels staunend betrachten: Rund um die Schadowstraße mit den bestehenden Schadow Arkaden und dem fertiggestellten Kö-Bogen I von Stararchitekt Daniel Libeskind hat Miele zusammen mit seiner neuen Tochter Otto Wilde Grillers eine neue Heimat in exponierter Lage gefunden. Das zweistöckige Ladenlokal mit 441 Quadratmetern Verkaufs- und Lagerfläche liegt in unmittelbarer Nachbarschaft weiterer Top-Marken wie Apple, Joop!, Porsche Design oder Faber-Castel. Allesamt Marken-Stores, die den Ruf und die Emotion rund um den jeweiligen Marken-Kern mehren sollen.

Direkt nebenan ist – als Schluss- und Höhepunkt der Neugestaltung des Quartiers – die neue Mitte Düsseldorfs entstanden: Der Kö-Bogen II sorgt mit seinen begrünten Fassaden mit mehr als 30.000 Hainbuchenpflanzen weit über die NRW-Landeshauptstadt hinaus für Furore in der Welt des Handels wie der Stadtplaner. Hier wird Coolblue, der niederländische Online-Händler, noch in diesem Jahr seinen ersten (und bislang größten) Store in Deutschland eröffnen.

Beide Ansiedlungen, sowohl Miele als auch Coolblue, werden für den (traditionellen) Handel mit Elektrohausgeräten, aber auch Consumer Electronic (Apple reüssiert auch in Sichtweite des Kö-Bogens II) nicht ohne Folgen bleiben. Immer öfter suchen Kunden eine Innenstadt auf, die sie inspiriert, ihnen Erlebnisse präsentiert.

Einer, der die Zukunft und Emotionalisierung der Innenstadt in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt hat, ist Philipp Beck, Geschäftsführer des Ateliers 522 (Markdorf/Bodenseekreis). Beck begreift (Handels-)Flächen als Spielwiese der Fantasie und Kreativität. Sein Mantra: „Man misst die Verkaufsfläche heute nicht in Quadratmetern, sondern in Emotionen pro Quadratmeter.“ Und: „Wenn die Emotion pro Quadratmeter stimmt, dann stimmt auch der Umsatz.“

„Die Innenstadt konkurriert mit dem Wochenendausflug. Sie muss inspirieren, Erlebnisse präsentieren. Und sie muss Orientierung in der Orientierungslosigkeit des Netzes bieten“, Philipp Beck, Geschäftsführer Atelier 522.

Verkaufsfläche: Emotionen pro Quadratmeter

Die Innenstadt konkurriere heute mit dem Wohnzimmer zu Hause oder einem Besuch im Freizeitpark. Gefragt seien Wohlfühlbereiche, helle, hochwertige Atmosphäre und durchgängige Themenwelten. Beck: „Sie brauchen nicht Einkaufen gehen, es wird Ihnen ja nach Hause gebracht. Nur, wenn es so schön ist, wie zu Hause, werden sie dort hingehen.“ Und weiter: „Die Innenstadt konkurriert mit dem Wochenendausflug. Sie muss inspirieren, Erlebnisse präsentieren. Die Innenstadt muss Orientierung in der Orientierungslosigkeit des Netzes bieten.“

Emotionen pro Quadratmeter? Wer sich in den gut 900 Technical Superstores der Branche umsieht, wird es mit einem Achselzucken zu Kenntnis nehmen. Eine Handvoll angeschlossener Kaffee-Vollautomaten, eine bestenfalls am Freitag und Samstag betriebene Show-Küche machen noch keinen Point of Emotion in einem ansonsten eher fensterlosen Store mit Schuhkarton-Grundriss. Indes: Nichts ist auch hier ohne sein Gegenteil war. Wenn der Kühlschrank streikt, die Waschmaschine versagt oder das Notebook-Display dunkel bleibt, braucht man keinen Erlebnishandel, sondern ganz schnell und unkompliziert Ersatz. Mit tadellosem Service und bester Beratung. In dieser Domäne macht dem Fachhandel so schnell niemand etwas vor.

Matthias M. Machan

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