Diekmanns Thesen haben branchenübergreifend Relevanz, kommen mitunter wie mit dem Vorschlaghammer – aber immer ist geballte Leidenschaft für die Zukunft des Handels mit dabei: „Die Zeit austauschbarer Sortimente und Services, intransparenter Preise, schlechter Beratungs- und Verkaufsdienstleistungen läuft ab. Sie wird ersetzt durch radikal neu gedachte und innovative Geschäftsmodelle. Zukünftig wird nur der überleben, der entweder groß oder mächtig genug ist oder in punkto Produkt und Service hochgradig kuratiert und spezialisiert.“
Gesprochen hat Diekmann diese Sätze – die sich so brandaktuell lesen – bereits auf dem eCommerce-Tag der NRW-Landesregierung im Frühjahr 2019. Im Interview haben wir Marcus Diekmann gebeten, am Ende dieses so turbulenten, herausfordernden Jahres 2021 auf die Branche zu blicken.
Der umtriebige 42-jährige Unternehmer, der ab Januar 2022 als Teilzeit-Geschäftsführer der International Brands Company auch das Eigenmarkengeschäft der Peek & Cloppenburg Unternehmensgruppe in Düsseldorf verantwortet, zählt zu den bekanntesten Digitalexperten Deutschlands, ist Buchautor und in der Wirtschaftspresse ein gefragter Sprecher zu Themen rund um disruptive Geschäftsmodelle und digitale Transformation.
Diekmann berät Unternehmen in Transformationsfragen, u.a. das Familienunternehmen BabyOne. Er selbst ist als Investor bei einigen Start-Ups beteiligt, beispielsweise gemeinsam mit Manuel Neuer beim Start-Up „votebase.“
Sie sagten kürzlich „Marken brauchen einen eigenen Charakter“. Welchen Charakter hat die Marke Marcus Diekmann?
Es gibt nur den Menschen Marcus Diekmann, daher schaue ich auch kritisch auf die derzeit so angesagten „Personal Branding“-Themen. Ich glaube der Schlüssel ist: Sei Du selbst, nur transparenter als früher. Früher waren wir Unternehmer häufig nach innen gekehrt. Heute wollen alle, Mitarbeiter wie Kunden, viel stärker integriert werden, erwarten viel mehr Transparenz auf allen Ebenen.
Mir geht es in meinem Tun stets um strategische Impulse, die Inspiration und die Motivation. Das Geheimnis meines Erfolgs: Nicht betriebsblind werden, sondern immer branchenübergreifend tätig sein.
Sie sollen im kommenden Jahr die umsatzstarken, aber weitgehend unbekannten Eigenmarken des eher traditionellen Modehändlers P&C aufpolieren. Wie nehmen Sie die Marken der Hausgeräte-Industrie wahr?
Ich nutze daheim eine Waschmaschine und einen Geschirrspüler von Miele, einen Backofen von Siemens, einen nagelneuen Fernseher von LG und bin mit all‘ diesen Marken sehr happy.
Ob Eigenmarke oder exklusive Linie: Beide müssen heute wieder als echte USP’s gedacht werden. Also, wie kann ich mich mit Produkt, Preis und Service von den Wettbewerber-Produkten abgrenzen. Ich jedenfalls freue mich auch künftig auf echten Mehrwert bei den Marken und nicht auf ein Weglassen von Features, um dadurch die Margen zu erhöhen.
Der Handel mit Hausgeräten und Consumer Electronic wird hierzulande vor allem durch die Verbundgruppen geprägt …
Ich sehe bei den Verbundgruppen eine tolle, glorreiche Vergangenheit, auch daher rührend, dass engagierte Unternehmer die Marken groß gemacht und mit Leidenschaft geführt haben.
Die Zukunft indes ist auch für die Verbundgruppen eine „online first“-Strategie. Man muss im Produkt, im Preis und im Service online wettbewerbsfähig sein. Und dann muss man aber auch radikal nach hinten denken: Omnichannel ist keine „purpose“, Omnichannel ist eine Pflicht!
Das bedeutet: Ich muss stationär einen extrem guten Service, extrem gute Umtauschmöglichleiten, extrem gute Montage und eine krasse Schnelligkeit beim Lieferservice bieten.
Ein Top-Thema für den Handel in 2021 war Direct2Consumer: Vorwerk macht es mit Thermomix & Kobold schon immer, Dyson immer öfter. Miele startet jetzt in Düsseldorf, in den Nachbarländern Belgien & Österreich sammelt Bosch Erfahrungen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Durch die Online-Transparenz gibt es keine regionale Abgrenzung mehr. Online führt mit 24/7 aber zu einer Über-Distribution. Und online brauche ich auch keine 1.000 Händler mehr, um ein Produkt zu verkaufen. Als Hersteller sollte man sein eigner Herrscher der Customer Journey sein. Mit Direct2Consumer bin ich Herrscher des Preises, des Marketings und der Distributionspolitik. Das macht mich schneller und beweglicher – und ich behalte die Preis- und Margensicherheit.
Rose Bikes ist ja eine Direct2Consumer-Brand, die sehr eng mit dem Handel zusammenarbeitet, beispielsweise bei LT in Osnabrück oder bei Breuninger. Die Händler vermitteln unsere Ware. Wir haben die Preishoheit, der Händler wiederum die Preissicherheit. Und wir tragen auch das Warenrisiko. Das ist win-win-Situation.
Momentan hat uns die 4. Welle der Pandemie im Würgegriff. Ist 2G für weite Teile des Fachhandels gut begründet oder eben doch vor allem Symbolpolitik?
Menschen werden krank. Menschen sterben. Das ist schlimm. Nicht richtig ist es aber, immer nur Symbolpolitik zu betreiben. Und das machen wir seit zwei Jahren. Man hat am Anfang den schnellsten Weg des geringsten Widerstands gewählt – und den Handel geschlossen.
Ich würde es verstehen, schauen Sie sich mal die Schlangen vor der Kasse an, wenn auch Supermärkte gleichbehandelt oder wirklich nur auf Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs beschränkt würden und nicht auch Wasserkocher und Fahrräder verkaufen dürfen. Aus Sicht von ‚Händler helfen Händlern‘ fordern wir hier endlich eine zuverlässige und gerechte Coronapolitik, dann schaffen wir das gemeinsam als Gesellschaft.
Hat der Handel bei den Entscheidern in Berlin und den Landeshauptstädten keine Lobby?
Der Handel hat es nicht verstanden, gemeinsam zu sprechen. Es sprechen in Berlin große Händler für sich, es sprechen einzelne Branchen für sich. Und somit nicht laut und deutlich genug. Das muss sich ändern. Bei „Händler helfen Händlern“ sprechen wir unbürokratisch, mit einer Stimme und auf dem kurzen Dienstweg.
Der Einzelhandel stirbt still. Wer aufmerksam durch die Innenstädte geht, sieht insbesondere in B-Lagen immer öfter Geschäftsaufgaben. Fakt aber ist, eine Innenstadt ohne funktionierenden Einzelhandel ist nicht überlebensfähig. Sind mehr Gastronomie, mehr Aufenthaltsqualität, mehr inhabergeführter Einzelhandel, mehr Pop-up-Stores, weniger uniforme Formate ein Ansatz, wieder Leben in die Fußgängerzone zu bringen?
Wir werden zukünftig mehr unterteilen müssen zwischen Erlebnis- und Einkaufsgemeinden einerseits sowie Wohn- und Schlafgemeinden andererseits. Nicht jede Stadt kann den Anspruch erheben, in Zukunft eine eigene florierende Innenstadt zu haben. Man muss neue Stärken finden. Der Erlebniseinkauf wird in Zukunft an zentralen Orten stattfinden. Das ist auch eine Chance für eine neue Lebensqualität in der Stadt. Wir müssen die Städte neu ausrichten.
Täuscht mein Eindruck oder kann es sein, dass Messenger-Dienste und soziale Netzwerke in Zukunft noch wichtiger werden als der eigene Onlineshop?
Messenger-Services sind die Zukunft, ein Kommunikationsweg, den der Kunde liebt. Händler müssen auf Social Media setzen – und dabei so authentisch auftreten, wie sie sind.
Wie kann sich die Innenstadt als Marktplatz des 21. Jahrhunderts entwickeln?
Muss die Innenstadt denn ein Marktplatz des 21. Jahrhunderts werden oder muss sie nicht viel eher eine eigene Identifikation finden? Es kann nicht jeder wie Amazon sein. Daher: Wie kann man seinen eigenen Weg, seine eigenen Stärken finden. Ich bin kein Freund der aktuellen, immer gleichen Buzz-Words als Lösung für die Innenstadt.
Regionale oder lokale Suchmaschinen benötigt kein Mensch. Wir brauchen Konzepte, die sich am Leben in der Stadt orientieren. Dabei sollte man nicht in Einzellösungen denken, sondern massiv in Lebensqualität der Städte investieren.
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