Frank Schipper ist neuer Vorsitzender des Aufsichtsrates von Euronics Deutschland. „Er folgt auf Dirk Wittmer, der nicht mehr dem Aufsichtsrat angehört“, heißt es in einer Pressemeldung von Euronics Deutschland. Das wird weder dem Anlass noch dem jahrelangen Einsatz und Wirken von Dirk Wittmer (Euronics XXL Johann + Wittmer, Ratingen) gerecht. Was im Berliner CityCube am Karnevalssonntag über die Bühne ging, war nicht weniger als ein Branchen-Beben.
Anwesende beschrieben eine „Schockstarre, ganz so als wäre das WLAN ausgefallen“, als das Wahlergebnis im Rahmen der Generalversammlung von Euronics Deutschland am 19. Februar verkündet wurde. Ganze sechs Stimmen fehlten Dirk Wittmer am Ende für die Wiederwahl in den Aufsichtsrat. Ohne Zweifel demokratisch zu Stande gekommen und natürlich von ihm akzeptiert und respektiert, dennoch ein politisches Lehrstück, das auch Tage danach noch für Kopfschütteln sorgte. „Das hat er nicht verdient“, hieß es unisono seitens der Industrie und vieler Händler am Rosenmontag im Rahmen der KOOP auf dem Berliner Messegelände.
Kopfschütteln in der Branche, vereinzelt gar Tränen
Kopfschütteln, Entsetzen, vereinzelt gar Tränen: Es gibt kaum einen Anlass in der jüngeren Vergangenheit, der die Branche – verbundgruppenübergreifend übrigens – zumindest kurzfristig so durchrüttelte wie dieser. Denn Dirk Wittmer war mehr als nur Aufsichtsratsvorsitzender von Euronics Deutschland: Er ist Mitgestalter und Vordenker der Branche, setzt Trends und Themen, die den gesamten Handel beleben wie bewegen.
Bereits im Alter zwischen 27 und 32 Jahren saß Wittmer im Aufsichtsrat des Euronics-Vorläufers Interfunk. Seit 2005, also ein Jahr nach dem Zusammenschluss von Interfunk und Ruefach, gehörte der heute 63-Jährige dem Euronics-Aufsichtsrat an, seit April 2008 als dessen Vorsitzender. So etwas nennt man wohl ein Urgestein.
Er förderte zuletzt die Strategie „E 25“ und kümmerte sich um die Neuaufstellung des Vorstandes. Dabei ist es ihm gelungen, Menschen wie Michael Rook oder Kai Kuerpick für das Unternehmen zu begeistern, einen Profi wie Benjamin Kmetec von Lidl zu holen und auch Jochen Mauch aus den eigenen Reihen zum Vorstand zu machen.
Der neue Aufsichtsratsvorsitzende Frank Schipper: „Ein besonderer Dank geht im Namen der gesamten Organisation an Dirk Wittmer, der in seiner langjährigen Tätigkeit als Aufsichtsrat und Aufsichtsratsvorsitzender mit viel Engagement und großem Geschick die positive Entwicklung von Euronics in Deutschland maßgeblich geprägt hat.“
Dass es in Berlin nicht zum routinierten „Abnicken“ einer Personalie im Aufsichtsrat kommen wird, ahnten einige Branchen-Beobachter, wie auch Dirk Wittmer selbst, bereits im Vorfeld. „Ich habe mich nicht immer beliebt gemacht“, räumt er denn auch im Gespräch mit infoboard.de ein. ‘Und: „Vielen Mitgliedern gehen die geplanten und durchgeführten Veränderungen zu schnell. Da wird man nicht belohnt, wenn man noch weiter beschleunigen will, obwohl der Markt das fordert.“ Aber auch das Thema Preisgestaltung im Handels-Alltag sorgte zusätzlich für Unmut.
Lauter Stilfragen …
Auf unsere Nachfrage, ob ein Aufsichtsrat Kampfpreise machen dürfe, antwortet der Unternehmer Dirk Wittmer: „Ich bin auch Händler und damit für 68 Angestellte verantwortlich. Bitte erinnern Sie sich an den Beginn von Corona vor drei Jahren oder den Beginn des Ukraine-Kriegs im letzten Jahr. Keiner von uns wusste so richtig, wie es nun weitergeht. Wie alle Kollegen haben wir aufmerksam den Markt beobachtet und unsere Preisgestaltung daraus abgeleitet. Im Nachhinein betrachtet, dass ein oder andere Mal vielleicht nicht so ganz glücklich. Es hat Zeit gebraucht, bis wir uns neu zentriert hatten. Aber um es auch deutlich herauszustellen: Wir leben nicht vom Internethandel, sind weder ein Fake noch ein Internetladen.“
Ihm aber, wie in Berlin geschehen, Verfehlungen im Amt des Aufsichtsrates vorzuhalten, das kratzt sichtlich am Habitus von Dirk Wittmer. Es sind Stilfragen, laut Branchen-Insidern offenbar von langer Hand geplant, die ihn traurig machen und enttäuscht zurücklassen: „Es ging mir nie um den Posten. Es geht mir immer nur um die Sache. Mir ist es jetzt wichtig, dass der eingeschlagene Weg der Euronics konsequent weitergegangen wird und dass es dadurch den Mitgliedern gut geht. In meiner Amtszeit dufte ich viele tolle Menschen kennenlernen, mit denen ich mich sehr verbunden fühle.“ Deshalb bleibt Wittmer auch weiterhin ein großer Fan der Euronics.
„Ich wünsche dem jetzt gewählten Gremium mit Frank Schipper als Aufsichtsratsvorsitzenden und Christoph Lux als Stellvertreter die nötigen Ideen und Willen, das neue Vorstandsteam bei Euronics in eine gute Zukunft kritisch und konstruktiv zu begleiten“, so Wittmer zu infoboard.de.
Mittelstandskreis & Handelsverband: Wittmers Expertise bleibt gefragt
Still wird es um Dirk Wittmer dennoch nicht werden. Seine Expertise wird bei der IHK genauso geschätzt wie beim Stadtmarketing in Ratingen. Und sein Engagement für den BSH Mittelstandskreis, dessen Vorstandssprecher er ist, oder für den Handelsverband NRW Rheinland, bei dem er für den Verstorbenen Friedrich G. Conzen den Vorsitz kommissarisch übernommen hat, ist gefragter denn je.
Vor allem aber wird Wittmer auch künftig am eigenen Unternehmen arbeiten, dass er gerade für einen mittleren sechsstelligen Betrag hat umbauen lassen, um den veränderten Konsumenten-Wünschen wie der technischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Alles in allem mehr als nur ein Facelift: Das Angebot mit neuen Warengruppen wurde deutlich sichtbar erweitert, das Portfolio an Dienstleistungen ausgebaut.
Wittmer hat in Licht, Ladenbau und Klima investiert, hinzu kommen weitere Mittel für das neue Euronics-Logo an der Außenfassade, im Ladengeschäft sowie an den Firmenwagen. Damit bleibt Euronics Johann + Wittmer natürlich XXL, kommt uns jetzt aber in der Wahrnehmung eher als ein großflächiges Fachgeschäft, denn als Fachmarkt rüber, eben ein großflächiges Fachgeschäft mit relevantem Sortiment und kuratierter Auswahl.
Was den Handel zum Erlebnis macht …
Wittmer: „Ich beschäftige mich damit, was den Handel zum Erlebnis macht, wie die Ware am PoS erlebbar wird und alle fünf Sinne anspricht. Denn wenn immer weniger Menschen das Haus verlassen, um einzukaufen, dann wollen wir natürlich, dass sich diese Menschen für uns entscheiden.“
Auch wenn Wittmer bei Euronics die Gestaltungsmacht entzogen wurde, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass er sich, analog zu seiner Rede am Karnevalswochenende in Berlin, um drei Schwerpunktthemen für das eigene Unternehmen kümmern wird: Personal („Wir brauchen besser ausgebildete Leute.“), Service („In die Wohnung des Kunden kommen und dabei rentabel arbeiten.“) sowie eine Steigerung der Effizienz.
Und die Zukunft von Euronics Deutschland? „Die Euronics ist mit Benedict Kober und Jochen Mauch und dem erweiterten Vorstand um Michael Rook und Benjamin Kmetec gut aufgestellt und wird die notwendigen Themen umsetzen. So kann beispielsweise mit der über 75%-tigen Zustimmung zur Satzungsänderung die erweiterte Euronics Digitalstrategie anlaufen. Dadurch werden die Mitglieder in Zukunft wesentlich in der digitalen Kommunikation zum Kunden bei Ihrem Erfolg unterstützt.“