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E-Commerce-Tag in Dortmund: … und überall brennt die Hütte

Wenn eine Landesregierung, konkret die NRW-Ministerien für Wirtschaft und Digitalisierung sowie für Heimat und Bau, zu einem E-Commerce-Tag einladen, steht Revolution erfahrungsgemäß eher nicht auf der Tagesordnung. Und so bleibt beim E-Commerce-Tag in Dortmund Ende Mai auch alles erst einmal brav wie bekannt: „Die Zukunft im Einzelhandel ist digital. Wer da in Zukunft nicht mitspielen kann oder will, wird es sehr schwer haben“, sagt der eine (Wirtschaftsminister Prof. Dr. Pinkwart). „Zur Innenstadt gehört der Einkauf als ein Erlebnis“, sagt die andere (Heimat- und Bauministerin Scharrenbach). Alles schon zig-mal durchdekliniert, der Aha-Effekt bleibt aus.
„Ich finde Beratung nicht überall und nicht in der Qualität, die ich mir wünschen würde“, NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart (r.).

Revolution! ^

Doch dann betritt Oliver Leisse, Geschäftsführer von „See More Future Research & Development aus Hamburg, die Bühne und lässt kaum ein Stein auf dem anderen.

Denn wir reden nicht mehr über das ,Ob‘, sondern vielmehr über das ‚Wie‘. „Die digitale Transformation ist kein friedliches Hinüberwachsen“, warnte Leisse gleich zu Beginn seines spannenden wie kurzweiligen Vortrags „Von der Evolution zur Revolution – wie sich der Handel und fast alle Märkte verändern und was nun zu tun ist“. Leisse macht vor allem deutlich, welche massiven Auswirkungen die digitale Transformation und ihr Werkzeug, das Smartphone, für alle Lebensbereiche (in der Stadt, bei der Arbeit, im Privaten) haben werden.

Der E-Commerce ändert die Art wie wir Einkaufen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Schon heute sind die Kunden nicht mehr loyal, ist die Markenbindung (vom Fashion-Bereich einmal abgesehen) äußerst volatil, laufen beispielsweise den Banken als Folge des Online-Bankings die Kunden aus den vielfach überflüssigen Filialen weg. Leisse: „Überall brennt die Hütte. Eine Welle der Veränderung schwappt über uns hinweg. Es wird sich fast alles ändern: Was wir tun, wie wir es tun und wer wir sind.“ Dazu tragen künftig auch die Sprachassistenten wie Alexa und Google Home bei, die in naher Zukunft auch vermehrt in eher ungewohnte Endgeräte wie Kopfhörer integriert werden könnten, quasi als „Alexa to go“.

Die von Leisse zitierten Worte von Robert Jungk, Urvater aller Zukunftsforscher, wonach das Morgen schon im Heute vorhanden ist, sich aber hinter dem Gewohnten tarnt und entlarvt, trösten wenig. Denn in Leisses Welt von morgen, fährt das Auto (schon recht bald) selbst, sorgen autonome Drohnen für den Warentransport, reduziert die (voll)automatisierte Welt die Personalkosten derart einschneidend, dass beispielsweise die Kategorie „Fashion“ auf 40 % ihrer heutigen Kunden verzichten könne, um den Ertrag konstant zu halten.

Unterhaltsam, provozierend, visionär: Referent Oliver Leisse, Geschäftsführer von „See More Future Research & Development“.

Überflüssig in der Arbeitswelt von morgen ^

Das hat Folgen: Mit den neuen Technologien verändert sich auch der Mensch und die Arbeitswelt. Wie also werden wir in den nächsten Jahren arbeiten, wenn wir denn überhaupt noch arbeiten werden? Leisse zugespitzt: „Was fangen wir mit all’ den überflüssigen Menschen an? Und wie gehen wir mit dem mehr an Zeit um?“ Die Einen, so Leisse, sind als „Pioniere des Morgen“ von der schöpferischen Zerstörung der digitalen Revolution geradezu begeistert, die Anderen sind als „Wächter des Gestern“ von Zerstörung des Schöpferischen alarmiert. „Wir müssen da einen Konsens schaffen, die Gesellschaft zerfällt“, so Leisses Appell.

Shoppen das neue Arbeiten? ^

Für Leisse führt die Automatisierung der Arbeit dazu, dass die Menschen mehr Zeit haben werden. Wird dadurch Shoppen das neue Arbeiten? Die Folge für das Einkaufen sind klar: „Wer Zeit hat, ist nicht mehr Effizienz getrieben. Entscheidend ist dann, ob das Shoppen Spaß macht“, so Leisse. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass das Shoppen auch online künftig wesentlich emotionaler wird, dass aber vor allem der stationäre Händler wesentlich mehr Emotion und Erlebnis bieten muss. Leisse: „Die Mall in der Innenstadt und auch auf der grünen Wiese muss mehr bieten als Versorgung. Erlebniskonzepte sind gefragt!“

Freilich darf der Handel vor lauter Erlebnis seine Kernkompetenz, die Beratung nicht aus den Augen verlieren. NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart zu Beginn des E-Commerce-Tages: „Ich finde Beratung nicht überall und nicht in der Qualität, die ich mir wünschen würde.“ Da kann man ihm – allen Pressemeldungen der Einkaufkooperationen, die stets das hohe Lied der Beratung singen – wohl nur beipflichten.

Echter Erlebnishandel – wo? ^

Das gilt auch für den echten Erlebnishandel: Propagiert wird er von allen, aber eine einsame Drohne, die in einem Elektrofachmarkt umherfliegt, macht noch keinen Sommer. Ein Waschtisch, der die Themen Beauty und Grooming pushen soll, aber von den Kunden binnen zwei Jahren praktisch noch nie genutzt wurde, keinen Schönheitssalon und eine Showküche, die gerade mal freitags und samstags genutzt wird, hat an den anderen Wochentagen das Flair von kaltem Kaffee. Was beispielsweise Samsung unter Erlebnis versteht, zeigt der neue Brand Flagship Store „Samsung Showcase“ in der besten Einkaufslage von Frankfurt. Dort herrscht Frequenz, dort wird die Zukunft als Erlebnis inszeniert. Nicht minder spektakulär ist der neue Flagship-Store von Saturn in Köln.

Aber eine Handvoll Schwalben macht noch keinen Sommer. Wie können also die Städte und der Handel auf die aktuelle Herausforderungen der digitalen Transformation reagieren? Eine plakative Antwort kam von Minister Pinkwart. „Wir brauchen die positiv Bekloppten, die Ideen haben und diese umsetzen!“

Matthias M. Machan

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