Kaffee

„Ein Türöffner fürs Miteinander“

Ein Wiedersehen mit Michael Gliss nach 15 Jahren

Von Matthias M. Machan

Während seine Kollegen vor drei Jahrzehnten im Essener Schloss Hugenpoet oder im Nassauer Hof in Wiesbaden bei Wein und Champagner ins Schwärmen gerieten, schlug das Herz von Michael Gliss schon sehr früh für guten Kaffee. So war es eben jene Leidenschaft, die den gelernten Hotelfachmann bereits im Jahr 1990 dazu bewog, der Luxushotellerie den Rücken zu kehren und sich fortan ausschließlich seiner Leidenschaft für Kaffee zu widmen.

Vor gut 20 Jahren, im Mai 2001, erwirbt Michael Gliss nach mehrmonatiger Ausbildung das anerkannte EU-Zertifikat „Diplomierter Kaffee-Sommelier“ vom Institut für Kaffee-Experten in Wien, der Hochburg für Kaffeekultur schlechthin. Seitdem ist er Deutschlands erster Diplom Kaffee-Sommelier und einer der profundesten Kaffee-Kenner hierzulande überhaupt.

„Kaffeegenuss ist kommunikativ, bringt die Menschen immer zusammen und überwindet Hürden und Schranken“, Michael Gliss.

Unsere erste Begegnung liegt 15 Jahre zurück. Ein Interview am Düsseldorfer Flughafen. Kaffee bestellte der damals 42-Jährige nicht. Seine Begründung: „Guter Kaffee ist eine Wohltat, macht Freude und schmeckt himmlisch. Schlechter Kaffee bereitet Schmerzen.“ Heute treffen wir ihn im Schatten der Kölner Domtürme, unweit seines Ladengeschäftes „Gliss Caffee Contor“ in der St. Apern-Straße, auf dem Rhein. In wenigen Stunden startet er mit einer Flusskreuzfahrt den Rhein hinauf bis zum Deutschen Eck in Koblenz, von dort moselaufwärts nach Trier. Burgen und Indian Summer hier, Weinberge und Stadtkerne aus dem Mittelalter dort: Ein schönerer Ort ist für seine Kaffeeseminare kaum denkbar.

Lieber Michael Gliss, unser erstes gemeinsames Interview haben wir vor beinahe eineinhalb Jahrzehnten geführt. Sie sind Deutschlands erster Kaffee-Sommelier. Einen Titel, den man Ihnen, wo es fast in jeder Stadt einen Kaffeeröster gibt, nicht nehmen kann. Was hat sich beim Kaffee seit unserem ersten Gespräch in Düsseldorf vor 15 Jahren getan?

Die Kaffee-Branche hat sich signifikant verändert. Vor 20 Jahren war ich ja fast ein Einzelkämpfer. Das hat damals Spaß gemacht, war aber auch sehr anstrengend. Mittlerweile habe ich viele Kolleginnen und Kollegen, das macht es leichter. Die Branche hat sich entwickelt, ist organisch gewachsen und ist vor allem wahrnehmbarer geworden.

Ist der Hype um die braunen Bohnen eine Welle der letzten Jahre oder ist es ein Trend der bleibt?

Das ist ein Trend, der gekommen ist, um zu bleiben. Man kann sich in der Qualität ja nicht mehr heruntertrinken. Wir erneuern unser Angebot 24/7 an die Verbraucher: „Probiert mit uns hochwertige Kaffees.“

Was genau macht für Sie die Faszination von Kaffee aus?

Kaffee hat doch etwas ungemein Verbindendes. Wer kennt diesen Satz nicht: „Lass‘ uns doch mal auf eine Tasse Kaffee treffen.“ Kaffeegenuss ist kommunikativ, bringt die Menschen immer zusammen und überwindet Hürden und Schranken. Ein echter Türöffner fürs Miteinander.

Worin unterscheidet sich ein guter Kaffee von einem schlechten?

Natürlich gibt es einige Parameter, aber das ist für mich auch ein subjektives Gefühl. Ich trinke meinen Kaffee dort, wo ich weiß, dass ich ihn genießen kann. Kaffee ist für mich dann guter Kaffee, wenn ich Lust auf eine zweite Tasse habe. Schlechten Kaffee würde ich immer stehen lassen. Was auf gar keinen Fall funktioniert, ist die Gleichung teure Maschine und billiger Kaffee. Aus schlechtem Kaffee kann auch eine Premium-Maschine keinen Kaffeegenuss zaubern.

Erinnern Sie sich an Ihr schönstes Kaffee-Erlebnis?

Ob es den ultimativen Moment gibt? Kaffee ist ungemein verbindend, schafft ja so viele wunderbare Erlebnisse. Eines meiner schönsten war sicherlich mein Morgenkaffee auf einer Nil-Kreuzfahrt. Sonnenaufgang, Blick auf die Tempel von Luxor, dazu Gliss-Kaffee. Dieser Moment ist für mich unvergesslich.

Und was sind die entscheidenden Parameter für das Gelingen des perfekten Kaffees?

Ich komme ja von der Bohne. Also bestimmt die Bohne, welche Art der Zubereitung ich wähle. Letztlich ist es ja der Faktor Mensch, der es auf den letzten Schritten in der Hand hat, ob und wie der Kaffee gelingt. Da gibt es einiges zu beachten: Ich muss die für mich richtige Bohne, den richtigen Mahlgrad wählen und die richtige Menge wählen. Und um einen guten Durchlauf des Wassers durch das Kaffeepulver zu bekommen, ist das tampern und der Anpressdruck entscheidend. Vollautomaten nehmen Letzteres ab, inzwischen auch einige Siebträgermodelle.

Schon beim Betreten von „Gliss Caffee Contor“ in Köln taucht man in eine andere, kleine Welt. Der aromatische Geruch frisch aufgebrühten Kaffees kommt dem Kunden entgegen. Das Ladenlokal erinnert an einen alten Kolonialwarenladen, wie man ihn in Deutschland noch bis in die 70er Jahre kannte und wie er heute allenfalls noch in Wien anzutreffen ist. Hier treffen Kaffee-Liebhaber aller Altersgruppen zusammen, um sich eine Pause vom Alltag zu gönnen, Kaffee zu probieren, um ihn anschließend ganz frisch mit nach Hause zu nehmen.

Highend-Vollautomaten werben mit „Espresso in Siebträgerqualität? Ist da was dran?

Sie bieten einen wunderbaren Komfort und ermöglichen auch ungeübten Kaffee-Liebhabern Kaffee in Barista-Qualität anzubieten. Zudem kann ich inzwischen unglaublich viele Spezialitäten auf Knopfdruck anbieten. Ein ungeheurer Vorteil. Kaffee-Vollautomaten nehmen viel Arbeit bei der Zubereitung ab und müssen Siebträgern in nichts nachstehen. Siebträger sind natürlich beim Espresso unschlagbar, aber ansonsten sind die Zubereitungsmöglichkeiten ja eher begrenzt.

Generell: Kaffee ist ein komplexes Getränk, das man ohne missionarische Absichten genießen sollte!

Das gilt auch für die Filter-Zubereitung?

Unbedingt. Alle Zubereitungsarten haben ihre Berechtigung, auch Filter ist nicht abzulehnen. Ein Porzellan-Handfilter bringt beispielsweise das Typische eines sortenreinen Plantagenkaffees mit seinen vielen Nuancen am besten heraus.

Aber aus schlechten Bohnen kann auch kein Premiumgerät guten Kaffee zaubern …

… so ist das!

Worauf sollte ich beim Kauf einer Kaffeemaschine achten?

Aus meiner Sicht sind es drei Fragen: Welches Budget habe ich? Welchen Komfort möchte ich bei der Kaffeezubereitung haben? Und welches Design spricht mich an? Kurz zum Budget: Billig rechnet sich auf Dauer nicht. Wie heißt das schöne Bonmot: „Ich bin nicht so reich, dass ich billig einkaufen kann.“

Was ich persönlich bei der Kaffeezubereitung nicht brauche, ist der digitale Schnickschnack, diese „Ich-brauche-Dich-nie“-Sachen. Wenn ich Gäste habe, stehen meine Gäste im Vordergrund – und nichts Anderes.

Worauf sollte ich beim Kaffeekauf achten? Hier hat der Preis schon ganz entscheidend mit der Qualität zu tun, oder?

Ja und nein. Sicher ist, ein Kaffee für 7,98 Euro im Kilo kann keine gute Qualität sein. Das ist einfach nicht möglich. Aber auch für 35 Euro kann ich danebenliegen, wenn beispielsweise die Marke mehr Premium verspricht, als es der Inhalt bietet. Generell bietet der Preis aber schon einen Orientierungsrahmen für die Qualität.

Mein Rat: Eher beim lokalen Röster oder in einem Fachgeschäft kaufen, wo man sich mit dem Kaffee bewusst auseinandersetzt und eine Geschichte zum jeweiligen Kaffee erzählen kann. Fachkompetenz zeigt sich, wenn ich bei meinem ersten Besuch nach meinen Kaffee-Vorlieben gefragt werde, beispielsweise zu welchem Anlass und welcher Uhrzeit ich den Kaffee trinken möchte.

Und es doch mal der Supermarkt sein muss: Achten Sie auf regionale Röster und das Röstdatum, nicht die Mindesthaltbarkeit. Denn Kaffee ist ein Frischeprodukt.

Auch nach dem Kaffeekauf kann man mit dem Frischeprodukt Kaffee viele Fehler machen …

Generell rate ich, nur kleine Mengen zu kaufen. Denn Kaffee wird durch Lagerung nicht besser. Und die Bohnen danach in der Tüte zu lassen. Diese in eine Aufbewahrungsdose zu schütten wirkt auf den Kaffee wie eine Sauerstoffdusche. Was beim Wein mitunter erwünscht ist, wirkt beim Kaffee fatal.

Michael Gliss vermittelt seine Kaffee-Expertise u.a. auf (Fluss-) Kreuzfahrten.

Und der Kühlschrank ist ein „no go …

… niemals in den Kühlschrank, denn Kaffee ist ein Geruchsmagnet. Daher auch auf keinen Fall in den Gewürzschrank.

Um Kaffee wirklich zu beschreiben, müsste fast eine neue Sprache erfunden werden, schwärmt Michael Gliss im Gespräch, der in diesem Augenblick wieder ganz nah bei seinen früheren Kollegen aus dem Hotelfach ist, die den Wein auch mit ihrer ganz eigenen Sprache verkosten. Eine feste, stabile Schicht Schaum türmt sich wie ein Hügel über die mit weißen Streifen durchzogene Flüssigkeit aus Espresso und Milch seines Latte Macchiatos. Als sei es selbstverständlich, dass man beim Genuss von Kaffee einen Zustand höchsten irdischen Glücks erreicht, lächelt er, schließt die Augen und nimmt genussvoll einen Schluck aus dem Glas. Der perfekte Kaffee? Frisch muss er sein und man sollte beim Kauf der braunen Bohnen mehr auf Herkunft, Sorte und Verarbeitung, denn auf die Marke achten.

Arabica oder Robusta?

Sowohl als auch. Mein Lieblings-Espresso ist beispielsweise zu 100% ein Robusta. Generell sollte das Robusta-Bashing aufhören.

Wie begleitet Sie Kaffee durch den Tag?

Maßvoll. Ich trinke meinen Kaffee bewusst, meist nur drei oder vier Tassen am Tag. Für mich ist eine Tasse Kaffee ein Genuss-Moment. Ein Moment, um eine Pause einzulegen, ein Moment, um bewusster über Dinge nachzudenken.

Was ist bei Kaffee der ideale kulinarische Begleiter?

Ich bin beim Kaffee ein Purist. Natürlich passen Kuchen und Schokolade. Aber Kaffee ist auch ideal zu einer Brotzeit mit rohem Schinken. Oder, etwas exotisch, sind Kreationen mit Kaffee und Käse. Ein gereifter Kuhmilchkäse mit Espressokruste ist ein Gedicht.

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