Von Matthias M. Machan
Hierzu ein Kommentar von Alexander Druckenmüller:
Das Miele-Beben: Spirit-Verlust vorprogrammiert?
Wo McKinsey drin ist, da kommt auch McKinsey raus! Aus dem liebenswerten, mittelständischen Familienunternehmen Miele – auf diese Bezeichnung war man seit vielen Jahren stolz – wird nun ein …
„Kill your company, bevor es jemand anders tut!“ Selten war der Satz des Keynote-Speakers Marcus Diekmann, Digital-Chef bei Rose Bikes in Bocholt mit Blick auf die digitale Transformation, so aktuell wie Mitte vergangener Woche. Nicht nur, dass sich die Auto-Giganten Fiat/Chrysler und PSA/Opel zu einer Company vereinen wollen, auch der (im Vergleich dazu) „Mittelständler“ Miele erfindet sich an Haupt und Gliedern nahezu neu: „120 Jahre nach seiner Gründung stellt sich Miele grundlegend neu auf. Ziel ist, die führende Marktposition im Premiumsegment der Haus- und Gewerbegeräte weiter auszubauen und zugleich die Wirtschaftlichkeit der gesamten Miele Gruppe nachhaltig zu sichern.“
Eine Radikalkur ^
Die Headline der Pressemeldung aus der vergangenen Woche kann euphemistischer kaum sein: „Miele stellt die Weichen für eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft. Größte Wachstums- und Innovationsoffensive in der Geschichte des Unternehmens angekündigt.“ Dahinter versteckt sich nicht nur ein veritabler Stellenabbau, den Gütersloh besonders (be)trifft, sondern auch ein komplettes Umdenken in der Unternehmensführung und –Strategie, bei dem kaum ein Stein auf dem anderen bleibt. Indes: Der Kulturwandel, die Radikalkur des Branchen-Dickschiffes scheint unausweichlich: weltweit kühlt die Konjunktur ab, die geopolitischen Risiken und Handelshemmnisse nehmen zu, der Umsatz auf dem Heimatmarkt Deutschland war zuletzt sogar leicht rückläufig.
Viel stärker jedoch setzt Miele – auch die BSH kann davon ein Lied singen, denn nicht umsonst sind gerade erst die Top-Marken Neff und Gaggenau unter ein gemeinsames Marketing- und Vertriebsdach geschlüpft – die Konkurrenz der „Neureichen“ aus Asien unter Druck. Wer mit einem Smartphone oder einem TV-Gerät von Samsung (vor allem) oder LG (hin und wieder) aufwächst, schaut auch im Lebensraum Küche und Waschküche auf die Geräte der Koreaner.
Noch entscheidender: Die Asiaten (dazu zählen auch Haier, Hisense & Co. aber auch Beko/Grundig) machen einen prima Job, bieten immer bessere Technik mit Top-Features zu einem hoch attraktiven Preis an, bei dem sich die High-Tech-Region Ostwestfalen mächtig strecken muss. Und: Die tiefgreifenden Veränderungen der Märkte in Folge der Digitalisierung betreffen alle, wirklich alle – da ist die in den Hausgeräten verbaute künstliche Intelligenz nur der kleinste aller Bausteine.
IG-Metall: „Salami-Taktik“ ^
McKinsey war da, hat bei Miele jeden Stein zweimal umgedreht. „Ängste sind unbegründet“, versicherte Dr. Markus Miele im Interview mit dem „Handelsblatt“ noch im Februar. Das sieht man zumindest bei der IG Metall anders. Bei den Gewerkschaftern schrillen die Alarmglocken. Der Unternehmensbeauftragte der IG-Metall, Thomas Wamsler, befürchtet, dass der angekündigte Stellenabbau nicht das letzte Wort ist. „Das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange”, sagte der Gewerkschafter, der der Miele-Geschäftsleitung eine „Salami-Taktik“ vorwirft, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Fakt ist: Der Konzernumbau scheint alternativlos, rüttelt aber kräftig am Selbstverständnis von Miele, das in diesem Jahr seinen 120. Geburtstag feiert und mit der Einbaugeräte-Generation 7000 die größte Produkteinführung seiner Geschichte realisierte.
Amsterdam statt Gütersloh ^
Neue Business Units sollen bei Miele künftig maßgeblich dazu beitragen, die Wirtschaftlichkeit der gesamten Miele Gruppe nachhaltig zu sichern. Dazu zählen u.a. „ein schlagkräftigerer Zuschnitt“ des weltweiten Vertriebs, Amsterdam als neuer Standort für das digitale Marketing und das Erschließen neuer Geschäftsfelder.
Und: Die Neuausrichtung ist mit deutlichen Einsparungen bei den laufenden Kosten verbunden, die sich auch markant auf den Personalbereich auswirken: Bis Ende 2021 sollen weltweit rund 1.070 Stellen entfallen, davon etwa 240 in Deutschland. Dies soll – eben „Miele-like“ – verantwortungsvoll, möglichst sozialverträglich und in enger Abstimmung mit den Betriebsräten gestaltet werden. Hinzu kommen weitere 650 Stellen, die bis Ende 2025 im Gütersloher Waschmaschinenwerk wegfallen.
Miele kein Sanierungsfall, aber … ^
Auch wenn zuletzt der Umsatz (Angaben zum Gewinn macht Miele traditionell nicht.) nur dank der erstmaligen Einbeziehung der koreanischen Tochter Yujin Robot noch einmal leicht um 1,5 % auf 4,16 Mrd. EUR stieg (ohne diesen Effekt nur ein Plus von 0,2 %), und auch, wenn man auf dem Heimatmarkt Deutschland einen Umsatzrückgang um 0,3 % auf 1,2 Mrd. EUR hinnehmen musste, ein Sanierungsfall ist Miele aber mitnichten! Nach dem ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres stehen die Zeichen gar auf Wachstum.
… dringender Handlungsbedarf ^
Gleichzeitig trägt man in Gütersloh den tiefgreifenden Veränderungen des Marktes und der Kundengewohnheiten Rechnung, die die gesamte Branche vor enorme Herausforderungen stellen. „Dringender Handlungsbedarf ergibt sich aus der rasant gewachsenen Bedeutung der digitalen Kanäle und mobilen Devices für die Informations- und Kommunikationsgewohnheiten der Kunden. Hinzu kommen die immer preisaggressiveren Marktauftritte asiatischer Konzerne“, heißt es bei Miele.
In diesem veränderten Umfeld setzt der Familienkonzern auch künftig auf die Kraft seiner Marke, seinen Qualitätsanspruch und auf Innovationen. Apropos Innovationen: Hier bleibt ein merkwürdig diffuser Eindruck zurück: Einerseits ist Miele nicht selten technologischer Impulsgeber – wie zuletzt beim Dialoggarer -, andererseits kommen Produkteinführungen, insbesondere bei den Kleingeräten (einstmals Kaffee-Vollautomaten, zuletzt Saugroboter und der Akku-Handsauger „Triflex“), reichlich spät auf den Markt.
Jetzt sollen neue Geschäftsfelder in den Fokus rücken, das Tempo und die Flexibilität bei der Entwicklung neuer Geräte und Services erhöht werden. Gleichzeitig stellt sich Miele in der Administration und der Vermarktung „wachstumsorientierter“ auf, will in allen Bereichen seine Prozesse optimieren und so zusätzliche Spielräume bei den Kosten und Preisen gewinnen. Die Herausforderungen und Chancen sollen „aus einer Position der Stärke und mit dem notwendigen Nachdruck“ in Angriff genommen werden.
Maßnahmen, die einschneiden und nachwirken ^
Um die Potenziale für mehr Wachstum und Kosteneffizienz zu identifizieren und daraus konkrete Maßnahmen abzuleiten, hat Miele vor einem Jahr sein Programm „Design2Excellence“ (D2E) gestartet. Diese Maßnahmen werden die Statik des Unternehmens maßgeblich verändern:
- Um unternehmerische Verantwortung innerhalb der Organisation zu stärken, soll das operative Geschäft fortan in acht Business Units gebündelt werden. Deren Leitung hat jeweils die volle Entscheidungskompetenz für ihre Wertschöpfungskette. Sie ist der Geschäftsleitung gegenüber für Umsatz, Kosten und Ergebnis verantwortlich. Dies verkürzt Abstimmungs- und Entscheidungswege.
- Die neu geschaffene Business Unit „New Growth Factory“ soll neue Geschäftsfelder identifizieren. Ziel ist, sich über das heutige Stammgeschäft hinaus „substanziell breiter aufzustellen und so neue Erlösquellen zu erschließen“.
- Um die Potenziale der Märkte bestmöglich auszuschöpfen und regionale Synergien zu fördern, werden die weltweiten Vertriebsstrukturen neu geordnet. So werden China, USA und Kanada künftig direkt an die Geschäftsleitung angebunden.
- Zum weiteren Ausbau der Digitalkompetenz im Marketing und im Vertrieb sollen digitales Marketing, E-Commerce und Digital Analytics in einem neuen Bereich zusammengefasst werden. Der neue „Digital Hub Marketing & Sales“ der Miele Gruppe soll in Amsterdam errichtet werden. Kein Zufall also, dass ausgerechnet im Miele Experience Center Amsterdam mit einem Digital Signage-Konzept ein zentrales Element des neuen Miele Store-Formats installiert wurde, über das infoboard.de bereits im Juni berichtet hat.
- Für die Finanzierung der Zukunftsinvestitionen und zur nachhaltigen Sicherung der Wirtschaftlichkeit sollen rund 190 Mio. EUR pro Jahr eingespart werden. Realisiert wird die Summe überwiegend bei den Sachkosten, jedoch „sind auch im Personalbereich Reduzierungen unumgänglich“. Dies gilt für den Abbau von Parallelstrukturen und für länderübergreifendes Bündeln von Kräften in Vertrieb, Service, Logistik, IT und bei Standardtätigkeiten im Finanzbereich.
Stärkung der Digitalkompetenz ^
Im Ergebnis können bis Ende 2021 in Deutschland rund 240 Arbeitsplätze entfallen, vornehmlich am Standort Gütersloh. Außerhalb Deutschlands werden etwa 830 Arbeitsplätze betroffen sein. An anderen Stellen soll es indes im Zuge von D2E einen Aufbau von etwa 470 Arbeitsplätzen geben: zur Stärkung der Digitalkompetenz, für neue Geschäftsfelder und in neuen Standorten für die länderübergreifende Unterstützung. Von D2E ist das Programm „Wäschepflege 2025“ zu unterscheiden, in dessen Rahmen sich das Gütersloher Waschmaschinenwerk auf das Zusammenspiel mit dem neuen Werk im polnischen Ksawerów vorbereitet.
Ein Kraftakt ^
„Die Umsetzung der geplanten Veränderungen wird ein Kraftakt, der nur mit der Unterstützung und dem Vertrauen der Belegschaft gelingt“, so die beiden Geschäftsführenden Gesellschafter Dr. Markus Miele und Dr. Reinhard Zinkann, die die Miele Gruppe gleichberechtigt mit den drei familienunabhängigen Geschäftsführern Olaf Bartsch, Dr. Stefan Breit und Dr. Axel Kniehl führen.
Was das alles für den Spirit der Marke und die Aura von Miele bedeutet, eine wesentliche Stärke war bislang der hohe Wertschöpfungsanteil in Deutschland, bleibt abzuwarten. Agiler in seiner Produktpolitik dürfte Miele auf jeden Fall werden. Wahr ist auch: Um viele Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, müssen die Gütersloher die Kostenvorteile des Produktion im Ausland stärker nutzen.
Was bedeutet das alles für den hiesigen Handel? Mit den jetzt kommunizierten Maßnahmen nehme man wichtige Weichenstellungen vor, um Miele als gesundes und unabhängiges Familienunternehmen zu erhalten und zu stärken, schreibt Frank Jüttner, Leiter der Vertriebsgesellschaft Deutschland, in einem Brief an die Geschäftspartner. Und weiter: „So sichert Miele seine Marktposition und seine Innovationskraft – für noch mehr Kundenorientierung, die Entwicklung und Produktion erstklassiger Geräte, die Strahlkraft unserer Marke.“ Das Wichtigste kommt zum Schluss: „Für Sie als Handelspartner ändert sich praktisch nichts.“