Im Gespräch mit infoboard.de Chefredakteur Matthias M. Machan spricht Franziska Müller über herausfordernde Aufgaben wie den Wandel zum Erlebniseinkauf, den Fachkräftemangel, die Preisgestaltung bei Direct2Consumer und ihre Liebe zu Hamburg und dem FC St. Pauli.
Seit 2019 führen Sie den elterlichen Betrieb in der dritten Generation. Gab es für Sie je einen Plan-B oder stand von Beginn an fest, dass Sie das Geschäft übernehmen?
Nein, es gab eigentlich keinen Plan B. Ich war schon als kleines Kind jeden Tag nach der Schule im damaligen Laden in der Innenstadt. Es hat sich schon sehr früh, als ich sechs, sieben Jahre alt war, abgezeichnet, dass ich eine große Leidenschaft für den Handel wie die Elektronik habe.
Sie haben ja zwei Schwestern. Für beide war expert Müller keine Option?
Beide sind beruflich in komplett anderen Bereichen. Das Interesse für Handel und die Branche war da bei mir am ausgeprägtesten. Es war auch von Anfang an klar, dass wenn dann nur eine von uns in die Firma geht. Das war damals bei meinem Vater und seiner Schwester auch schon so.
Für Sie war damit ja bereits früh klar, dass Sie das Unternehmen von ihrem Vater Hans Müller übernehmen werden. Haben Sie diesen Entschluss, auch mit Blick auf die zurückliegenden drei Jahre die von der Pandemie, der Lieferkettenproblematik, dem Ukraine-Krieg und jetzt von Energiekrise und Inflation geprägt sind, nie bereut?
Mit der offiziellen Übernahme, und damit natürlich auch der vollen Verantwortung für alle Mitarbeiter 2019, war mein erstes Jahr durch Corona zu Beginn gleich sehr herausfordernd. Zudem ist unsere Branche sehr anspruchsvoll, verlangt einem viel ab. Aber so anstrengend es manchmal sein kann, genau so aufregend und spannend ist es.
Ich bin froh mich jeden Tag mit meinem Team neuen Herausforderungen stellen zu können. Und auch wenn man sich in stressigen Momenten mal denkt, was mache ich eigentlich hier, ganz ehrlich, bereut habe ich diesen Entschluss noch nie länger als fünf Minuten.
Wie verlief der Übergang des Unternehmens von einer auf die nächste Generation? Da bleiben ja oftmals Gegensätze und Kontroversen nicht aus …
Mein Vater hat mir hier volles Vertrauen geschenkt. Ich durfte von Anfang an sehr frei arbeiten. Natürlich gab es Reibereien und auch mal Streit, aber wir haben uns immer zusammengerauft. Schließlich hatten wir beide immer ein Ziel, das Wohl und Fortbestehen der Firma. Auch heute steht er mir immer mit Rat und auch Tat zur Verfügung. Er hat jahrelange Erfahrung und darüber bin ich froh, und es gibt immer Themen, bei denen ich ihn gerne um Rat frage.
Was ist für Sie und Ihr Unternehmen aktuell die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung ist es, dem Kunden die Vorteile des stationären Handels wieder schmackhaft zu machen. Wir bieten einen großen Mehrwert gegenüber dem Internet. Das müssen wir dem Kunden aber natürlich auch beweisen. Corona und die Schließung der Märkte haben die Affinität zum Internet beschleunigt. Unser Service und unsere Beratungsqualität, das Einkaufserlebnis hier vor Ort, daran arbeiten wir jeden Tag, um dem Kunden ein Rundumerlebnis im stationären Handel zu bieten.
Mit dem Wandel zum Erlebniseinkauf, der digitalen Transformation, aber vor allem auch dem Fachkräftemangel stehen Sie vor gleichsam spannenden wie herausfordernden Aufgaben. Wie löst man all‘ diese gleichzeitigen Probleme?
Ehrlich gesagt bin ich da, auch wie mein Vater, ein Mensch, der auf sein Gefühl hört. Ich bin sehr viel auf der Fläche unterwegs, habe mein Büro aus dem ersten Stock nach unten direkt in den Verkauf verlegt.
Ich bin jeden Tag nah am Kunden, verkaufe mit, und erlebe gut, wie die Reaktionen sind. Was kommt gut an, was fällt dem Kunden vielleicht gar nicht auf. Durch die starke Werbegruppe, der wir angeschlossen sind, gibt es einen großen Austausch mit den Kollegen. So ist man auch bei übergeordneten Themen nicht in Gefahr etwas zu verpassen.
Wie verlief Ihre Vita vor dem Einstieg ins elterliche Unternehmen?
Da ich ein großer Hamburg-Fan bin und meine Ausbildung nicht im Familienbetrieb machen wollte – man möchte ja auch mal über den Chef meckern -, bin ich nach meinem Schulabschluss nach Hamburg gezogen und habe dort bei Euronics meine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel gemacht. Nach kurzer Zeit als Filialleitung habe ich dann noch eine Runde bei MediaMarkt gedreht.
Anschließend habe ich ein Duales Studium absolviert, dabei meinen theoretischen Teil in der Nähe von Hamburg gemacht. Für den praktischen Teil war ich dann bereits hier in der elterlichen Firma. Nach dem Studium bin ich dann komplett in die Firma eingestiegen.
Welche Unterstützung bekommen Sie von der expert-Zentrale? Und was waren für Ihren Vater vor anderthalb Jahrzehnten die Beweggründe, sich expert anzuschließen?
Zusätzlich zum großen Ganzen, wie der Expertise, Einkaufsstärke und Fachbereiche, die expert als starken Verbund abbildet, kann man immer mit expert auch über seine individuellen „Probleme“ sprechen und Hilfe bekommen. Sei es bei Problemen mit der Industrie oder auch hausinternen Probleme.
Als ich die Firma übernommen habe und viele Prozesse implementiert werden mussten, hatte ich zum Beispiel sehr viel Unterstützung durch einen Coach von expert. Mein Vater ist vor 35 Jahren von Interfunk zu expert gewechselt. Die klare Struktur und Vision sowie der Bestandsschutz vorhandener Parzellen haben damals die Entscheidung für expert ausgemacht.
Wir fühlen uns bei expert sehr wohl, es ist ein vertrautes miteinander arbeiten. Die partnerschaftlichen Verbindungen zur Industrie, Zentrale und Kollegen helfen einem, in unserer herausfordernden Branche immer Rückhalt zu haben.
Eines ihrer ersten großen Projekte war der Umbau des expert-Fachmarkts in Nördlingen, der vor kurzem abgeschlossen wurde. Was hat sich dort durch den Umbau verändert?
Wir haben den Eingang komplett offen gestaltet, keine Türen, Schranken oder so. Mir war wichtig, dass der Kunde ungezwungen bei uns in ein offenes Ambiente eintritt. Wichtig war zudem, dass die Damen an den Kassen mit Blick Richtung Eingang platziert sind.
Die Begrüßung jedes Kunden ist uns sehr wichtig. Es soll sich jeder wollkommen fühlen, ohne sich belästigt zu fühlen. Man läuft direkt auf die Showküche zu, kommt an den Siebträgern vorbei. Lauter Themen, die Emotionen wecken.
Stichwort Showküche …
Wir nutzen die Küche jede Woche. Jeden Samstag führen wir etwas vor. Das geht von ganz einfachen Pommes aus der Heißluftfritteuse über frisch gepressten Saft bis hin zu Gerichten im Dampfgarer. Wir haben auch immer wieder Industrie-Vorführungen, beispielsweise mit der Kenwood Cooking Chef oder mit Siebträgern von Sage.
Ohne ein schlüssiges POS-Konzept, vor allem aber einen Point of Emotion, gibt es für Kunden immer weniger Gründe, den stationären Handel aufzusuchen. Womit punkten Sie?
Der Ladenbau von expert bietet mit seinen Highlightmöbeln bereits tolle Lösungen. Wir haben dann zusätzlich noch Industriemöbel integriert und eigene Möbel anfertigen lassen, die dann ein individuelles Einkaufserlebnis bieten. Beim Thema Bügeln haben wir z.B. Bügelbretter statt Regalen. Das sieht zum einen witzig aus und der Kunde kann das Bügeleisen dort besser testen.
Wir haben Siebträger unterschiedlichster Art, bieten Kunden an, dort einen Espresso mit uns zu trinken. Hier haben wir zudem verschiedenste Möbel um eine Vorstellung davon zu schaffen, wie so etwas eben im eigenen Zuhause aussehen könnte.
Omnichannel bleibt eine große Herausforderung. Wie lässt sich der traditionelle Handel dauerhaft mit online kombinieren?
Online ist der neue Katalog. Kunden sind vorinformiert, technisch wie preislich. Das ist auch ok, unser Job ist es dann zu prüfen, ob die Vorauswahl richtig war, und unseren Service hervorzuheben. Oft denkt man beim Kauf nicht drüber nach, was man macht, wenn dann später ein Defekt auftritt.
Einen Techniker zu bekommen, das ist dann teilweise fast unmöglich. Es gibt Kunden, die bei uns verzweifelt anrufen, weil niemand die drei Jahre alte Waschmaschine reparieren möchte, die online bestellt wurde. Vielen ist es dann doch etwas wert, auch für so einen Fall gewappnet zu sein. Sie informieren sich zwar online, kaufen aber vor Ort.
Wie verändern sich Ihre Sortimente, um für die Kunden relevant zu bleiben?
Neuheiten, Trends und auch mal etwas Besonderes, was den Kunden zum Verweilen am Regal einlädt, solche Artikel müssen da sein. Kunden sind durch das Thema Online bereits sehr schnell im Bilde, was neu und im Trend ist. Hier dürfen wir nicht hinterher sein. Wir haben sehr viele junge Mitarbeiter, gerade unsere Azubis wissen oft schon was auch beispielsweise in der Gamingszene gerade Trend ist. Hier sind wir froh um jeden Input, auch von unseren Azubis.
Ein Top-Thema für den Handel ist Direct2Consumer. Wie sehen Sie diese Entwicklung
Die Preisgestaltung ist beim D2C-Geschäft ja oft vollkommen in Ordnung. Die Hersteller treten hier also nicht mit in den Preiskampf ein. Wir haben viel Fachpersonal, können gut beraten und dem Kunden die passende Lösung anbieten.
Dass Kunden bei uns beraten werden und dann online bestellen, weil teilweise Ontop-Angebote stattfinden oder auch Rückgabefristen anders sind, wie z.B. bei Dyson, das ist aber schon eine Gefahr für uns. Ein Schaufenster für die Online-Shops der Hersteller, das dürfen wir nicht werden.
Ist man als Einzelhändler alleine überhaupt noch überlebensfähig oder benötigt man das Know-how & die Einkaufsmacht einer starken Verbundgruppe wie expert dringender denn je?
Meiner Meinung nach geht es nicht mehr ohne eine Verbundgruppe. Es gibt so viel Themen, so viele Erfahrungen, die in einer Gruppe geteilt und genutzt werden können. Ich könnte mir ein Arbeiten ohne nicht vorstellen. Die Entwicklung lässt es meiner Meinung auch nicht mehr zu, als Einzelkämpfer erfolgreich zu sein.
Wie punkten Sie beim Kunden, wie wird das Thema Service und Beratung gelebt?
Beides sind essenzielle Themen. Wir sind personell immer sehr stark besetzt, es gibt keine langen Wartezeiten. Unsere Mitarbeiter sind zum Beispiel bei der Weißen Ware in Groß- und Kleingeräte aufgeteilt. Dadurch wird die Produktvielfalt für die Mitarbeiter kleiner, sie können sich dort wirklich spezialisieren.
In unserer Werkstatt haben wir für jeden Bereich einen Fachtechniker. Und an der Serviceannahme haben wir einen Techniker, der bereits bei der Annahme den Kunden bei Problemen helfen kann. Unsere Auslieferfahrer sind eigene Jungs, die technisch top fit sind und dem Kunden auch zu Hause noch Fragen beantworten können.
Apropos Service und Beratung: Das geht nur mit geschulten Mitarbeitern.
Wir werden durch expert sehr gut beim Thema Weiterbildung unterstützt. Wir nutzen viele Angebote der Industrie, um bei den Produkten auch im Detail zu wissen worauf es ankommt. Viele Geräte können von den Mitarbeitern getestet werden, um auch die Anwendung Zuhause zu kennen.
Das Thema „neue Mitarbeiter“ ist natürlich nicht mehr so einfach. Bei Gesprächen über die Vier-Tage-Woche von Montag bis Donnerstag sind unsere Öffnungszeiten für viele junge oder branchenfremde Personen natürlich abschreckend. Jedoch gibt es ja noch sehr viele Menschen, die im Handel tätig sind, gerade von anderen Elektroketten bekommen wir oft Bewerbungen, wenn wir Stellen ausschreiben.
Ein Arbeiten im Familienbetrieb bringt zudem viele Vorteile mit sich. Das sind viele bei großen Ketten nicht gewohnt. Wir gehen auf fast alle Urlaubswünsche unserer Mitarbeiter ein, versuchen so viele freie Wochenende wie möglich zu integrieren. Das schafft dann auch das Verständnis für Wochen, gerade in der Weihnachtssaison, in der man dann mal öfter ran muss.
Wie kommt man heute an neue Auszubildende?
Wir bilden in allen Bereichen aus. Und wir haben hier oft gute Erfahrungen gemacht, viele Praktika anzubieten. Unsere Branche ist ja produkttechnisch super-attraktiv, es arbeiten viele junge Menschen bei uns. Viele sind dann nach einem Praktikum richtig begeistert und bewerben sich um eine Ausbildung. Im Service ist es leider etwas schwieriger. Das Thema Handwerk ist bei jungen Menschen nicht so attraktiv.
Wie schafft man den Spagat zwischen eigenständiger Unternehmer-Persönlichkeit und dem Auftritt nach außen mit einer Verbundgruppe, die ja als Marke auftritt, womit die Unternehmerpersönlichkeit zwangsläufig ein wenig in den Hintergrund gedrängt wird?
Natürlich ist es Aufgabe einer Verbundgruppe ein einheitliches Bild zu schaffen. Das erhöht die Sichtbarkeit von allen. Zudem ist es manchmal sicher auch ein Schutz vor zu wilden Abweichungen. Ich finde man hat ausreichend Spielraum, um trotzdem regional individuell zu agieren.
Dies nutzen wir auch, durch teilweise eigene Möbel im Laden und unsere eigenen Aktionen sowie eigene Sortimente, die dann auf uns und unsere Region abgestimmt sind. So versteht unsere Werbung mit dem Spruch „os gond end mess“ bereits 30 km weiter zwar keiner mehr, aber hier im Nördlinger Ries weiß jeder wovon wir reden.
Der Jahresendspurt wird knackig: Fußball-WM, Black Week und das Weihnachtsgeschäft stehen vor der Tür. Wie kann man sich als Händler auf diese gleichzeitigen Großereignisse – bei knapper Ware und Konsumzurückhaltung – vorbereiten.
Gerade beim Einkauf wird es immer schwieriger. Zu volle Lager kann keiner gebrauchen, leer laufen aber erst recht nicht. Wir sind bereits durch die Corona-Zeit im Einkauf vorsichtiger geworden. Durch meine Zeit in anderen Elektroketten, in denen das Thema Lagerbestand Thema Nummer 1 war, habe ich hier bereits früh gelernt, den Einkauf als wichtiges Steuerungselement zu nutzen. Durch unsere kurzen Wege und regelmäßige Zahlenkontrollen sind wir sehr flexibel und können nachjustieren.
Wie hat die digitale Transformation das Unternehmen verändert?
Es wird natürlich viel mehr abverlangt als vorher. Nicht nur im Gespräch mit dem Kunden. Auch die Tätigkeiten haben sich verändert. Die Preisauszeichnung muss konstant gepflegt sein, unsere Mitarbeiter müssen sich um den Online-Shop, um Retouren und Kosten kümmern.
Auch beim Thema Werbung muss einfach der Fokus von Print schon ein Stück weiter auf Online verschoben werden. Wir sind sehr aktiv bei Facebook und Instagram, haben dort über 1.000 Follower, die zum Großteil wirklich aus der Region kommen und dadurch einen Bezug zu uns haben.
Was ist Ihre liebste Aufgabe im Unternehmen?
Ich bin einfach wahnsinnig gern mit unten auf der Fläche. Und zum Leid meines Teams baue ich wahnsinnig gerne um. Sieht man mich also mit einem Zollstock durch den Laden laufen, dann wissen die meisten schon, dass wieder Umräumarbeit ansteht.
Absolute Lieblingsproduktgruppe ist für mich das Thema Kaffeesiebträger. Allerdings habe ich wirklich eine große Begeisterung für so ziemlich alles was wir verkaufen, egal ob Haushaltsgroßgerät oder TV. Ich habe fünf Staubsauger zu Hause, obwohl ich nicht mal gerne staubsauge.
Wie schalten Sie ab und schaffen sich Freiraum für neue Ideen?
Meine Leidenschaft für Hamburg ist eigentlich durch den Fußball, insbesondere durch den FC St. Pauli, entstanden. Ich bin seit 20 Jahren Fan und versuche so oft es geht nach Hamburg zu fahren und dort ins Stadion zu gehen.
Zudem bin ich gerne mit meinem Hund „Pauli“, der Name hat natürlich Bezug, an der frischen Luft, mache Sport, oder fahre eine Runde mit meinem Oldtimer Mofa. Das sind alles Aktivitäten, bei denen ich abschalten kann und dadurch auch wieder Gedanken frei für neue Ideen habe.
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