Das hat Folgen – für den Handel wie für die Industrie. Beispiele gibt es dafür in den vergangenen Wochen zuhauf: Kaufhof kriecht bei Karstadt unter die Decke, Medimax und notebooksbilliger.de kuscheln miteinander und gehen eine Vernunftehe ein.
Prominentestes Beispiel ist der geplante Zusammenschluss von Karstadt und Galeria Kaufhof, zwei der traditionsreichsten Namen im deutschen Einzelhandel, die für die Attraktivität einer Innenstadt durchaus systemrelevant sind. Dort, wo einer von beiden in den letzten Jahren seine Türen schloss, war in unmittelbarer Nachbarschaft häufig erst mal Wüste.
Strategisches Ziel des Mega-Zusammenschlusses ist es, das Einzelhandelsgeschäft beider Häuser zukunftsfähig zu machen und im digitalen Zeitalter einen der führenden Omnichannel-Anbieter entstehen zu lassen. Und in der Tat bietet der Zusammenschluss zu dann insgesamt (erst einmal) 243 Häusern zahlreiche Chancen, angefangen von effizienteren Prozessen im „Back Office“ bis hin zu leistungsfähigen Online-Plattformen.
Doch hat diese „Deutsche Warenhaus AG“, der Zusammenschluss eines akut Fußkranken (Galeria Kaufhof) mit einem Rekonvaleszenten auf dem Wege der Besserung (Karstadt), wirklich das Potenzial, um in eine blühende Handelszukunft zu blicken? Oder sind nicht vielleicht doch die Immobilien beider Unternehmen das wertvollste Investitionsgut? Immerhin ist die vom Unternehmer René Benko 1999 gegründete Signa Gruppe, zu der Karstadt gehört, mit einem Immobilienvermögen von über 12 Mrd. EUR einer der bedeutendsten Immobilieninvestoren in Europa.
Im „Handelsblatt“ vergangenen Freitag gab sich Benko selbstbewusst. Tenor: Kaufhof sei mindestens in einem ähnlich besorgniserregenden Zustand wie 2014 Karstadt. Aber Stephan Fanderl und sein Team hätten bei Karstadt einen Riesenjob gemacht und bewiesen, dass das Warenhaus eine Zukunft habe. Das Gleiche wolle man auch bei Kaufhof unter Beweis stellen. Dabei unterstrich Benko, dass es nicht zu Massenschließungen kommend werde. „Natürlich müssen wir sanieren, aber wir werden wie bisher um jede Filiale kämpfen.“
Durch den Zusammenschluss entsteht ein Unternehmen mit mehr als 120 Standorten und einem Umsatzziel von rund zwei Milliarden Euro. Wird damit der Markt für Elektronikgeräte in Deutschland „neu aufgerollt“, wie es die Pressemeldungen der Unternehmen glauben machen wollen oder geht es hier nicht auch vor allem um Vorteile wie Kostensenkung, Organisationsoptimierung und letztendlich ja auch um Einkaufsmacht? Denn wahr bleibt auch: Beide Unternehmen kamen zuletzt nicht wirklich aus dem Quark, und so ist dieser Zusammenschluss nicht zuletzt der kaufmännischen Vernunft geschuldet.
Um Einkaufsmacht geht es auch bei der European Retail Alliance (era), ein Joint Venture zwischen MediaMarktSaturn Retail Group und Fnac Darty, dessen Start am Vorabend der IFA bekanntgegeben wurde. Gemeinsam erreichen die beiden Unternehmen über 2,3 Milliarden Kundenkontakte per anno, kommen auf ein Umsatzvolumen von mehr als 30 Mrd. EUR. Pieter Haas, CEO der MediaMarktSaturn Retail Group, sagte Ende August in Berlin: „Kerngedanke der era ist die Überzeugung, dass in Zeiten der Digitalisierung und Amazonisierung Retailer und Ihre Industriepartner zusammenarbeiten, ihr Know-how teilen und ihre Kräfte bündeln sollten. Nur zusammen erreichen wir eine Reichweite und Relevanz auf Augenhöhe mit den großen internationalen Spielern aus Asien und den USA.“
Müssen sich Amazon & Co. nun wärmer anziehen? Eher nicht. Denn in Deutschland vereint Amazon knapp ein Drittel des Umsatzes der Top 100 des deutschen Online-Handels auf sich. Danach kommt lange, ganz lange, erst einmal nichts. Und der Branchen-Gigant Amazon ist – vereint mit den beiden anderen Branchengrößen otto.de und Zalando – fast so stark wie alle anderen Händler auf den Plätzen 4 bis 100 zusammen.
Es ist unbestritten, dass der Online-Handel kräftig wächst. Dennoch darf bei allem Hype um den E-Commerce nicht vergessen werden, dass der Löwenanteil – konkret knapp 90 % – des Gesamteinzelhandelsumsatzes in Deutschland immer noch im stationären Handel erwirtschaftet wird. Noch also ist der stationäre Handel der Platzhirsch – auch wenn man schnell den Eindruck gewinnen kann, es sei umgekehrt.
Während die Großen längst (bittere) Pillen schlucken (müssen), um die digitale Transformation zu bewältigen, erinnert die Politik der Einkaufskooperationen und -verbände eher an die Verabreichung von Globuli & Co. Müssen nicht auch hier neue (Einkaufs-)Allianzen geschmiedet werden, auch weil durch das prognostizierte Abschmelzen der Händler irgendwann eine kritische Größe erreicht ist? Alle machen Multi- und Omnichannel, alle haben eine Warenverfügbarkeitsanzeige und alle versuchen mit den Daten ihrer Kunden Gold zu schürfen, indem man König Kunde noch persönlicher, noch zielgerichteter noch individueller anspricht.
Aber bekommt der Kunde das überhaupt mit? Wenn ich im Web nach dem Kaffee-Vollautomaten einer A oder einen Backofen der Marke B suche, bekomme ich auf den ersten beiden Seiten bei Google vertraute Plattformen wie Amazon, idealo und mal auch otto.de oder notebooksbilliger.de angezeigt – aber eben in der Regel keine Kooperationen. Ob Expert, Euronics oder ElectronicPartner, wer kennt schon als Verbraucher, mithin Laie den Unterschied? Und selbst kundige Branchen-Dinos ringen um Antworten, wenn man sie nach den Vorzügen der jeweiligen Kooperation in Abgrenzung zum Wettbewerber fragt.
Wenn alle das Gleiche machen, wenn sich alles nivelliert und wenn einem die Kooperation von der Ladengestaltung bis zur Sortimentspolitik fast alles abnimmt, wo bleibt dann das Herz und das Selbstverständnis des Unternehmers? Natürlich hat jede Kooperation Ihre Leuchtturm-Händler. Was sie eint: Sie sind Vollblut-Unternehmer! Für die NRW-Ausgabe des „handelsjournal“, herausgegeben vom Handelsverband Deutschland, stelle ich seit Jahren monatlich ausgewählte Leuchttürme des Handels vor.
Was auffällt: Die Händler aus der Hausgeräte-Branche sind eher spärlich vertreten. Es sind vor allem Händler, nein, es sind Unternehmer aus krisengeschüttelten Branchen (Schuhhandel, Mode, Bücher, Einrichtung), die mit neuen, wirklich innovativen Konzepten von sich reden machen, die erfolgreich den Spagat zwischen Tradition und Digitalisierung mit interaktiven Touch Screens, digitalen Gadgets und dem durchdachten Zusammenspiel von off- und online schaffen. Ob Lage, Ladendesign, Sortimentspolitik oder Mitarbeiterführung – der Unternehmer macht hier stets den Unterschied! Einer von ihnen, Thomas Zumnorde aus Münster, zitiert den italienischen Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa mit einem Satz, der treffender kaum sein kann: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, ist es nötig, dass alles sich verändert.“
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