Story

„Hersteller sind keine Händler!“

„Die ersten vier Monate des Jahres 2021 waren ‚satt‘. Erfolgreich!“ ElectronicPartner-Vorstand Karl Trautmann hat trotz „Bundesnotbremse“ wenig Grund zur Klage, denn die Düsseldorfer Verbundgruppe kann auf ein in Summe gutes Geschäftsjahr 2020 (8,1% Umsatzplus in der Verbundgruppe, 19,3% bei den EP:-Markenhändlern) sowie eine erfolgreiche virtuelle Jahresveranstaltung zurückschauen.

Dennoch ist die Kritik an der Politik in Bund und Land scharf im Ton, knallhart in der Sache. Trautmanns Forderung an die Politik Ende März: „Hört auf, das Wort Strategie zu verwenden! Das kann Politik weder auf Landes-, noch auf Bundesebene. Das Handeln ist nicht strategisch, sondern Mist! Versucht es mal mit operativer Exzellenz!“ Der 61-Jährige weiß, wovon er spricht: In seiner Heimatstadt Meerbusch sitzt er für die FDP im Stadtrat, ist zudem Vorsitzender des Ausschusses für Digitalisierung und Informationstechnologie.

„Handel ist eine empirische Wissenschaft. Man muss Konzepte nach dem Motto „try and error“ ausprobieren. Am Ende entscheidet der Kunde, was er möchte“, Karl Trautmann.

Im Branchen-Dialog mit infoboard.de spricht Karl Trautmann, über „hilfloses Gewurschtel“ in der Pandemiebekämpfung, warum wir persönliche Begegnungen künftig mehr wertschätzen werden und wieso „direct to consumer“ für eine steile Lernkurve bei den Herstellern sorgen wird.

Wie geht es Ihren Händlern aktuell?

Die ersten vier Monate waren wirklich erfolgreich. Die Mitglieder der Verbundgruppe haben vom ungebrochenen Trend der Verbraucher, im Zuge des Cocoonings ihr Heim aufzuwerten, erheblich profitiert. Die weiterhin starke Nachfrage privater und gewerblicher Kunden sowie neuerdings auch der öffentlichen Hand nach Produkten und Services rund um die Digitalisierung hat für volle Auftragsbücher bei unseren IT-Unternehmen und Fachhändlern gesorgt. Allerdings bleibt die Lieferfähigkeit angespannt.

Selbst wenn das Haushaltsbudget wieder auf das Thema Urlaub umgeschichtet wird, glaube ich nicht, dass wir in ein tiefes Umsatzloch fallen. Wir werden auch weiterhin eine hohe Akzeptanz bei den Verbrauchern genießen.

Welche Unterschiede gibt es in der Bewältigung der Corona-Krise zwischen einem EP: Fachhändler und einem Medimax Fachmarkt?  

Wenn man auf die Anfänge der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zurückschaut, dann hatten die Fachhändler vor Ort seit März 2020 eigentlich immer wieder einen klaren Vorteil: Während die allermeisten Fachmärkte deutlich über 800 Quadratmeter Verkaufsfläche haben und damit über einer willkürlich festgelegten Obergrenze mit einem Öffnungsverbot belegt waren, konnte der Fachhandel unter 800 Quadratmetern zusätzlich mit seiner Service- und Beratungskompetenz punkten.

Viele Kunden haben sich ganz bewusst für den Kauf bei ihrem Fachhändler vor Ort entschieden. Auf dieses Verhalten hat die langjährige Positionierung der Fachhändler von ElectronicPartner als „local hero“ sicherlich positiv eingezahlt.

Click-&-collect, Click-&-meet, geöffnet mit Negativ-Test oder für Geimpfte: Blicken Sie noch durch, wo was genau für wen gilt?

Ja, aber nur, weil bei uns im Hause zwei Mitarbeiter ausschließlich damit beschäftigt sind, unsere Datenbank à jour zu halten. Sie weist, nach Bundesländern, Kreisen und kreisfreien Städten sortiert, den jeweiligen aktuell gültigen Sachverhalt aus. Die Aufgabe ist deshalb besonders anspruchsvoll, weil die einzelnen Körperschaften in schöner Regelmäßigkeit, Klarstellungen vornehmen und vermeintliche oder tatsächliche Regelungslücken schließen.  

Ihre virtuelle Jahresveranstaltung endete mit viel positiver Resonanz. Jenseits der Erfolgsschlagzeilen: Kann digital das Analoge ersetzen oder wird der Schrei nach physischer Präsenz immer lauter?

Wir haben positive und negative Erfahrungen gemacht. Positiv war die unbestrittene Effizienzsteigerung durch die Nutzung von MS Teams für Meetings. Wir haben bei ElectronicPartner außerhalb der Logistik eine Quote von rund 90% in Bezug auf das mobile Arbeiten. Wir haben aber rasch gemerkt, dass ein gemeinsamer Kaffee via Teams eben nicht den persönlichen Kontakt auf Dauer ersetzen kann. Da bestätigt sich vieles empirisch, was in der Sozialanthropologie bisher erforscht wurde.

Und deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass die richtige Mischung aus digital und analog über den zukünftigen Erfolg entscheiden wird. Wir werden eine persönliche Begegnung mehr wertschätzen als in der Vergangenheit und gleichzeitig viele Routinetermine digital schnell und effizient erledigen.

Das wirkt nicht strukturiert, durchdacht oder strategisch

Was regt Sie an der Corona-Politik in Bund und Ländern so sehr auf?

Lassen Sie mich vorausschicken: Nicht nur die Politik, sondern jede Bürgerin und jeder Bürger hat die Verpflichtung, durch sein Verhalten die Pandemie zu bekämpfen.

Wirtschaft und Gesellschaft leben in normalen Zeiten vom geordneten Zusammenspiel einer riesigen Anzahl von Akteuren. Dieses Zusammenspiel basiert auf Vertrauen, Erfahrung und einem allgemein akzeptieren gesetzlichen Regelwerk. Dazu kommt auf der politischen Ebene ein System aus Checks-&-Balances.

Wenn man sich aber die Art und Weise von politischen Entscheidungen, ihre Auswirkungen und Umsetzungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung anschaut, dann hat das System schweren Schaden genommen. Bei Zusammenkünften der Ministerpräsidenten/-innen mit der Bundeskanzlerin wurden gemeinsame Beschlüsse gefasst, die in 16 Bundesländern 16-mal anders umgesetzt wurden. Für die Umsetzung selber, also den Erlass der entsprechenden Verordnung, benötigt Land A einen Tag, Land B drei Tage und das Land C handelt erstmal gar nicht.

Zudem kommt ein großer Druck auf die politischen Entscheider zu. Öffentlichkeit, Interessenvertreter und Social Media versuchen ihre jeweiligen Partikularinteressen durchzusetzen. In so einer Situation dann auf einen wissenschaftlich fundierten Erkenntnisgewinn zu verzichten und angesichts zweier anstehender Landtagswahlen lieber Lockerungsmaßnahmen umzusetzen, das macht wütend.

Übersichtlich und mit verschiedenen Formaten bot das ElectronicPartner Infonet den Besuchern der Jahresveranstaltung einen intuitiven Messebesuch.

Viele Maßnahmen werden erlassen – oder eben unterlassen – ohne dass klar ist, welche konkreten Auswirkungen sie für Menschen und Unternehmen haben oder welchen positiven Beitrag sie für die Pandemiebekämpfung liefern. Nicht zur Vertrauensbildung trägt bei, wenn zunächst die Inzidenzwerte 35 und 50 als Grenzwerte gut begründet festgelegt werden, dann plötzlich 100 und 200 richtig sind und im Wege des Kompromisses dann der Wert 165 bundesweit zur Schulschließung führt. Das wirkt nicht strukturiert, durchdacht oder strategisch, sondern wie ein hilfloses Gewurschtel.

Schlimmer noch: Wenn ich auf meinem Weg zum nächsten Real Markt an geschlossenen Einzelhandelsgeschäften mit ganz unterschiedlichen Sortimenten vorbeikomme, die freundliche Aufforderungen lese, bitte einen Termin zu vereinbaren sowie einen negativen Test mitzubringen und dann im Real Markt im 1. Stock auf deutlich über 1.100 Quadratmeter Verkaufsfläche ein NonFood-Angebot vom Turnschuh bis zum Blazer, vom Kinderspielzeug bis zum Kühlschrank vorfinde, dann verletzt das nicht nur jedes Gefühl für Fairness. Es macht sprachlos und wütend!

Dazu kommt eine widersprüchliche, geradezu kakophonische Kommunikation durch Verantwortliche in Bund und Ländern, die im Ergebnis unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Solidarität unterminiert.

Was können EP-Unternehmer strategisch besser als die Politik?

Strategien haben eine Orientierungsfunktion, eine Gestaltungsfunktion und eine Integrationsfunktion. Alle drei Funktionen kann ich bis heute im Zusammenhang mit Covid-19 nicht erkennen. Was ich unter operativer Exzellenz verstehe, möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen:

Ein Profi-Einkäufer weiß, dass bei einem nachgefragten knappen Gut die Warenverfügbarkeit immer den Preis schlägt. Und jeder Händler kennt die Logik, nach der Hersteller bei Nachfrageüberhang die knappe Ware allokieren. Wenn sich die Impfstoff-Einkäufer der EU also darüber freuen, dass sie den Einkaufspreis von 23 Euro auf 16 Euro je Einheit runtergehandelt haben, dann freuen sie sich über einen Pyrrhussieg. Denn im Ergebnis läuft die Impfung in der EU wegen mangelnder Verfügbarkeit von Impfstoff deutlich zu langsam.

Und wenn das Controlling eines Handelsunternehmens am Montag gefragt wird, wie die Umsätze und der Rohertrag am vergangenen Wochenende gewesen seien und wie hoch der aktuelle Lagerbestand ist, und als Antwort kommt „wissen wir aktuell nicht so genau, aber am Mittwoch haben wir bessere Zahlen“, dann hat das Unternehmen in 14 Tagen ein neues Controlling – oder ist kurzfristig bankrott.

Wenn wir in der Pandemiebekämpfung Inzidenzwerte zu sehr wichtigen Steuerungsgrößen, auf deren Basis Entscheidungen getroffen werden, erklären und seit weit über einem Jahr akzeptieren, dass samstags, sonntags und montags die tagesaktuelle Infektionszahlenmeldung mit dem Zusatz versehen wird, dass wegen Meldeverzögerungen noch Veränderungen erfolgen können, dann fehlt mir dafür mittlerweile jedes Verständnis.

Wenn staatliche Unterstützungsgelder nicht fließen, der Impfstoff zunächst spät und spärlich kommt, die Kontaktverfolgungs-Apps am Datenschutz scheitern: Ist das alles nur „Schuld“ der Politik oder ist es nicht auch eine dicke Lehmschicht in der Verwaltung?

Wenn ich als Politiker der Meinung bin, die Verwaltung sei träge, dann sollte ich keine Sonntagsreden schwingen, sondern Gesetze handwerklich sauber machen, damit die Verwaltung damit gut arbeiten kann. Ich erlebe in meiner Heimatstadt eine sehr engagierte und effiziente Verwaltung, die auch in Zeiten der Pandemie einen sehr guten Job macht – und dabei genauso unter der fehlenden Managementqualität von Bund und Ländern leidet wie der Handel, beispielsweise wenn die Kommune am Sonntagabend eine wenig präzise formulierte Handlungsanweisung vom Land erhält, die montags umgesetzt werden muss …

Kaufhäuser spielen als Magneten keine Rolle mehr

Bereits vor Corona befand sich der Handel, insbesondere durch die Digitalisierung, im rasanten Wandel, Corona wirkt da wie ein zusätzlicher Brandbeschleuniger. Wie kann eine Innenstadt dennoch attraktiv bleiben?

Die Veränderung der Innenstädte ist nicht nur für den Handel ein herausforderndes Thema. Seit Jahren stimmt der Endkunde mit den Füßen ab und meidet die Innenstadt in immer stärkerem Ausmaß. Schnell wird dann pauschal mit „Auswirkung des Onlinehandels“ argumentiert. Jetzt kommen Geschäftsaufgaben wegen der Pandemie dazu. Diese Thesen verkennen, dass die Entwicklung lange vor der Erfindung des Onlineshopping eingesetzt hat und ganz andere Einflussfaktoren relevant sind.

Eine attraktive Innenstadt ist ein kompliziertes Gebilde mit vielen Mitspielern. Aktuell zeigt sich sehr deutlich, welch wichtigen Beitrag eine funktionierende (und geöffnete!) Gastronomie für die Frequenz der Innenstadt leistet. Verkehrsanbindung, Wettbewerb durch Shoppingcenter und Fehler in der Stadtplanung sind weitere Ursachen für den Niedergang der Innenstädte. Dazu kommt eine geänderte Wohn- und Arbeitsorganisation der Menschen.

Ich bin aber optimistisch, dass die Innenstädte wieder an Attraktivität gewinnen werden. Denn immer mehr Kommunen arbeiten gezielt gegen die Fehlerfaktoren der Vergangenheit an und beginnen die Chancen zu nutzen, die ein geändertes Mobilitätsverhalten der Kunden und die Digitalisierung bieten.

Dies wird am Ende zu einer wiederbelebten Innenstadt führen, die allerdings völlig anders aussehen wird, als wir das heute vor Augen haben. So werden Kaufhäuser als Magneten keine Rolle mehr spielen, sondern Wohnraum im Innenstadtbereich, der für Dauerfrequenz im Stadtquartier sorgen wird. Je nach Branche und Sortiment sehe ich auch neue Handelskonzepte, deren erste Varianten, etwa institutionalisierte Pop-up-Stores, gerade entwickelt und ausprobiert werden.  

Handel ist eine empirische Wissenschaft. Man muss Konzepte nach dem Motto „try and error“ ausprobieren. Am Ende entscheidet der Kunde, was er möchte.

Was können Händler tun, um ihr Geschäft attraktiv zu halten?

Übererfülle die Erwartungen deines Kunden und halte deine Versprechen! Top-Geschäfte mit tollem Ambiente, gut ausgebildeten Verkäuferinnen und Verkäufern, ein kuratiertes Sortiment, Service und Kompetenz in technischen Fragen, Kommunikation auf den richtigen Kanälen. Die Ergebnisse unserer EP:-Händler zeigen seit Jahren, dass diese Mischung funktioniert.

Hinzu kommt: Die deutlich überwiegende Zahl der EP:-Markenhändler betreibt ihr Geschäft im ländlichen Raum und in Mittelstädten. Unser Mitglied hat neben seinem Handelsgeschäft ein zweites starkes Standbein: Beratung und Service. Unsere „local hero“-Positionierung sorgt für erfolgreiche Kundenbindung und stetig wachsende Umsätze.

Zwei Aufreger-Themen der vergangenen Wochen sind „Direct to Consumer“, wie es Dyson offensiv via TV kommuniziert sowie die Miet-Modelle von Miele und der BSH. Was kann die Industrie besser als der Händler?

Meine Prognose zum Mietmodell ist: Diese Versuche werden wieder eingestellt. Oder möchten Sie meinen Rasierer oder meine Waschmaschine als Zweitbesitzer nach Ablauf der Mietzeit nutzen? Ein Blick über die Branchengrenzen zum Thema „Zweitverwertung“ hilft.

Generell kann ich die Hersteller natürlich verstehen, wenn sie neue Wege ausprobieren, insbesondere bei „direct to consumer“, das ökonomisch zunächst sinnvoll erscheinen mag. Und ja, wir müssen uns auch immer wieder hinterfragen, ob wir die Wünsche und Anforderungen der Hersteller als Handel ausreichend erfüllen. Ich erwarte da eine steile Lernkurve für die Industrie

Außerdem: Wir können es deutlich besser als die Hersteller. Der Verbraucher bekommt von uns ein kuratiertes Angebot über die gesamte Breite des Marktes. Wir geben ihm also die Sicherheit. Und: Wir machen die Logistik, das gesamte Fulfillment und sorgen für den Service beim Kunden vor Ort. Hersteller sind keine Händler – wir können Endkunde besser!

Da Sie Dyson erwähnt haben: Der Handel hat Dyson in Deutschland groß gemacht. Das jetzige Vorgehen ist kurzsichtig, und ich empfinde es als unfair. Aber ich bin da nicht ängstlich, sondern ganz entspannt. Schauen Sie sich die Verläufe bei anderen Herstellern an – oder außerhalb unserer Branche, zum Beispiel bei Vorwerk. Auch beim Thema „direct to consumer“ wird die Lernkurve steil sein.

Matthias M. Machan

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