Es ist IFA , und ich gehe – wie mehrere Zehntausend andere – hin. Eingezwängt zwischen Massen, Machern und, ja und auch Murks, dränge ich mich drei Tage über das Berliner Messegelände, fast immer einen Smoothie oder Coffee-to-go-Becher im Nacken. Apropos Kaffee: Ein neuer Kaffeevollautomat steht für mich auf dem Laufzettel – und auch bei den Küchengeräten muss ich vorbei schauen. Sagt mein Haushaltsvorstand. Dass ich dabei in die Tiefen der Vernetzungs- und Smart-Technologie eintauchen werde und der Kaffee quasi zur Nebensache gerät, hat sie mir nicht gesagt.
Ortstermin bei Siemens in Halle 1. Eine genuschelte Bemerkung aus dem Besucherstrom rings um mich herum lenkt meine Schritte in Richtung Backöfen: „Da kannst Du Deine Pizza scannen lassen. Die brät dann der Ofen ganz alleine.“
Ein Barcode-Scanner also, der dem Backofen sagt, welche Pizza gleich in die Röhre kommt. Klasse Idee von Siemens für absolute Koch-Phobieker, denen sonst selbst das Eierwasser anbrennt. Das muss ich mir aus der Nähe anschauen und frage die Promotorin auf dem Siemens-Stand gleich, ob sie mir das mal in der Praxis zeigen kann. Kann sie und tippt konzentriert auf einem Tablet-Computer rum. Einen Moment noch, bittet ein Augenaufschlag von ihr. „Das Tablet war gerade nicht online“. Klar. Vernetzung braucht ein Netz. Und Netze haben nun mal Löcher. „Sie können auch gleich Rezeptvorschläge abrufen und die Vorheizfunktion einstellen“, klärt sie mich auf. Ein Rezept für eine Tiefkühlpizza? „Nein, ich meine, wenn Sie etwas anderes machen wollen. Einen Kuchen beispielsweise oder einen leckeren Braten.“
Wie war das gleich mit der Pizza? „Ja, sehen Sie hier. Einfach nur die Kamera vom Tablet vor die Packung halten. Der Barcode wird automatisch erfasst. Und jetzt sehen Sie, dass auf dem Backofendisplay automatisch Backzeit, Temperatur und Backart erscheinen.“ Jawohl, sie erscheinen. Ich bin begeistert. Vorbei die Zeiten, in denen ich die Zubereitungsvorschriften vom Pappkarton entziffern musste. Es gibt ja so viele Pizzen. „Das ist allerdings teilweise noch Zukunft“, tönt ein sonorer Bass hinter mir. Der Anzugträger kennt sich aus, wie sein Namens-Schild mit dem Logo einer großen Kaufhaus-Kette erahnen lässt. „Nun ja – das ist etwas Zukunft“, echot sofort ein weiterer Anzugträger mit Siemens-Label vor mir. „Das funktioniert natürlich zunächst nur mit ausgewählten Produkten hier auf der Messe.“ Es gibt halt so viele Pizzen – und die Strichcodes ändern sich ständig. Wie jetzt? Also doch weiter Backzeit- und Temperatur von Hand einstellen? Um eine Illusion ärmer wende ich mit den Kaffeemaschinen andernorts zu.
„Das ist ein Kaffeevollautomat“, werde ich umgehend belehrt. Wie einige andere um mich herum auch. Ich bezweifle, dass die hier alle die Technik sehen wollen. Dazu duftet der Kaffee viel zu gut, den ein junger Mann frisch für jeden aufbrüht, der nicht schnell genug Nein sagt. Besser gesagt, zubereiten lässt. „Unser Vollautomat kennt verschiedene Kaffeezubereitungsarten und brüht sie perfekt auf“. Wie viele waren es gleich? Jedenfalls mehr, als ich bislang je getrunken habe. Und die ganzen Spezialitäten kennt auch das Tablet, das demonstrativ neben jedem der neuen Vollautomaten angebracht ist. „Da können Sie auch Ihr eigenes Profil hinterlegen und bekommen so jeden Morgen ihren ganz persönlichen Kaffee oder Cappuccino, Espresso oder was auch immer sie wollen“, strahlt der junge Mann das Paar vor mir an. „Schön“, denke ich. „Aber wieso braucht der Automat dazu mein Bild?“
Die beiden vor mir jedenfalls nicken aufmerksam bei jeder Erklärung, lassen ihre Blicke im Takt des Promotors zwischen Tablet und Vollautomat wechseln. Nicken, schlürfen und staunen andächtig. Irgendwann sind Funktionsvielfalt und Wortvorrat erschöpft. „Und wozu brauche ich jetzt das Smartphone?“, frage ich die beiden vor mir. Sie lächelt mich an: „Ist doch ganz praktisch.“ Sie mache schließlich auch Facebook und Internet über ihr Handy. Ah ja. Ihr Begleiter legt tröstend die Hand auf meine Schulter. „Brauchst Du nicht“, beruhigt er mich mit einem Zwinkern. „Aber dann können die ihre Dinger einfach teurer verkaufen.“
Mein letzter Versuch für heute ist auch zugleich meine Versuchung: Kochen und Backen. Ich kann es zwar nicht – aber ich genieße es dafür umso mehr. Bei AEG werde ich fündig. Heiko Antoniewicz zaubert mit Aromen und Genüssen, dass aus den offen stehenden Mündern des Publikums der Speichel nur so tropft. Im Zentrum des Geschehens unter anderem die neue Dampfgarer-Generation, die Kochbanausen wie ich beinahe mit einem profanen Backofen verwechselt hätten. Nicht nur, dass in dieser Chimäre aus Dampf- und Backofen ein Brot mit Heißluft und Dampfstrom zur Vollendung heran – ja was nun, dampft oder backt?
Der ganze Prozess – vom simplen Backen mag man hier gar nicht mehr reden – wird demnächst über eine App gesteuert. Dass die Sensoren im Inneren des Ofens dabei den Fortgang genauestens registrieren und vor allem kontrollieren, hat für mich nach dem heutigen Messerundgang schon nichts Überraschendes mehr. Dass die Feinabstimmung soweit reicht, das auch der Feuchtigkeitsgehalt im Brotlaib prozentgenau vorgewählt werden kann, natürlich via Tablet und App, schon eher. Der Weckruf der App am Ende der Backzeit ist der IFA-typische Sahneklecks auf den High-Tech-Gerichten. Wäre da nicht die Bemerkung meines Sitznachbarn, die mich wieder auf den Boden der Tatsachen holt. Der kommentiert die Begeisterungsrufe seiner Frau mit einem trockenen: „Ja und? Eine gestellte Eieruhr sagt dir das auch – und ist billiger.“ (AW)
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