Fakt ist. Die IFA war smart – in diesem Jahr gar so smart wie nie. Es drehte sich zumindest in der öffentlichen wie veröffentlichten Meinung nahezu alles um vernetzte (Haus-)Geräte und deren intelligente (Sprach-)Steuerung. Das macht neugierig, das fasziniert. Die Zukunft zieht ein! Mehr noch, es gab eine appgesteuerte Innovationsflut vom Kochfeld über den Saugroboter hin bis zum Kaffee-Vollautomaten. Man ahnt: die Vernetzung kommt – endlich! – im Hier und Jetzt an.
Alles wunderbar also? Wer die Branche seit Jahren publizistisch begleitet, kommt zu einer differenzierteren Betrachtung über die Jubel-Arien nach der Rekord-IFA. Denn insbesondere die ersten beiden Presse-Vorlauftage, sonst ein Garant für echte Weltneuheiten, die normalerweise staunen und mit der Zunge schnalzen lassen, gerieten, zumindest am zweiten Tag bei der Weißen Ware, zu einer wenig prickelnden Produkt-Dauerschleife. Ein eher schaler Auftakt, bei dem (unbestritten) sinnvolle Sortimentsergänzungen von der Filtermaschine bis zum Wasserkocher und jede Menge „me too“-Produkte vom Spiralschneider bis zum vermeintlichen Trendthema Indoor Gardening gezeigt wurden. Alles richtig, alles wichtig – aber keine Hero-Produkte für die Berichterstattung.
Dazu passt eine Zufallsbegegnung mit einer Branchen-Kollegin am Abend des zweiten Messetages vor dem Charlottenburger Schloss. Wie läuft’s? „Vier Tage Zeitverschwendung“, so ihr hartes, unmissverständliches Zwischenfazit. Das klang hart und ungerecht, aber zumindest aus Sicht der Presse-Vertreter, die ihre Hausaufgaben im Vorfeld der IFA gemacht hatten, gab es wenig Neues, gar Bahnbrechendes zu sehen. Wer als Fachjournalist das zweitägige Media Briefing Mitte Juli am Alexanderplatz besucht hat, hätte sich den Presse-Aufgalopp vor allem am Tag vor der IFA-Eröffnung fast sparen können.
Beinahe, denn die digitale Transformation macht auch vor der IFA nicht halt, somit erfindet sich Leitmesse der „Stecker-Branche“ jedes Jahr ein klein wenig neu. Standen bis vor wenigen Jahren noch die bloßen Produkte im Vordergrund, kamen mit dem Innovations-Hub „IFA NEXT“ im vergangenen Jahr und der Veranstaltung „Shift AUTOMOTIVE“ rund um die Zukunft der vernetzten Mobilität (sowie eine Verdopplung der „IFA NEXT“-Fläche) branchenübergreifende Schwerpunkte hinzu.
Co-Innovation, Künstliche Intelligenz (KI), Spracherkennung und die rasant steigende Popularität smarter, vernetzter Produkte machen die IFA auch zum Mekka der Technik-Freaks und Hipster. Christian Göke, der Berliner Messechef, bringt es auf den Punkt: „Die IFA ist das Smart Home für die digitale Welt.“ IFA-Direktor Jens Heithecker setzt noch einen drauf: „Die IFA wirkt als Katalysator für die digitale Welt. Keine andere Messe bietet so viel Wachstumspotential für digitale Innovationen.“
Das sind die nüchternen Fakten: Die weltweit führende Messe für Consumer Electronics und Home Appliances zog nach ersten Angaben der Messeleitung in diesem Jahr über 150.000 Fachbesucher (Vj: 145.000) an, davon mehr als 75.000 aus dem Ausland (Vj: 72.000). Der inländische Fachbesucheranteil dürfte konstant, wenn nicht gar leicht gesteigen sein. Ein Minus von rund 7.000 Besuchern verbuchte die IFA im Bereich der Endverbraucher. Insgesamt bevölkerten über 245.000 Menschen das Messegelände unter dem Funkturm.
Das hohe Ordervolumen auf dem Rekordniveau von 4,7 Mrd. EUR in 2017 wurde auch in diesem Jahr erreicht. „Die Hausgeräte-Branche nimmt die positiven Impulse der IFA mit in das wichtige Weihnachtsgeschäft“, bilanziert Dr. Reinhard Zinkann, geschäftsführender Miele-Gesellschafter und Vorsitzender des ZVEI-Fachverbands Elektrohausgeräte.
Für den, der nicht nur nach Weltneuheiten gierte, sondern die IFA als Kontaktbörse und zum Blick über den Tellerand sowie auf das, was morgen und übermorgen in die Regale kommt. war die IFA ein beglückendes, zeitweilig berauschendes Fest.
Was insbesondere bei den Großgeräte-Anbietern auffällt, ist die Zusammenarbeit mit anderen, vermeintlich fremden Branchen. „Co-Innovation“ heißt das neue Zauberwort, das dafür steht, das unterschiedliche Branchen mit speziellem Fachwissen ihre Ideen und Visionen teilen und gemeinsam weiterentwickeln. Kaum ein Unternehmen kann heute permanent Innovationen hervorbringen ohne Partner, Allianzen oder offene Ökosysteme.
Die BSH macht es mit dem Ökosystem „Home Connect“ und der Erschließung neuer digitaler Geschäftsmodelle vor, wie es geht: Die Multibrand-Lösung vernetzt Partner, Produkte und deren Lösungen. Den Schwerpunkt bilden automatische Lieferservices (für Klarspüler, Geschirrspülertabs & Co.), die dem Konsumenten noch mehr Komfort bei der Nutzung der vernetzten Hausgeräte bieten sollen. Über die „Home Connect“-App können Nutzer des Ökosystems beispielsweise auf ausgewählte Rezepte von Kitchen Stories zugreifen. Das Partner-Portfolio wächst stetig. Schnittstellen Simply Yummy, Hello Fresh und dem Lebensmittel-Heimservice „eismann“ versprechen jede Menge Anregungen und Erleichterungen.
Doch in München denkt man noch einen Schritt weiter, schließlich ist Vernetzung nicht ohne Mobilität denkbar: Und so bekommt der User pünktlich zum Feierabend ein Rezept über seine App aufgespielt, verbunden mit einem Blick in den Kühlschrank, der natürlich mit vernetzter Kamera ausgestatt ist. So weit, so bekannt. Neu ist: Die fehlenden Zutaten werden auf das Navi im Auto gesendet, dass schnurstracks eine optimale Einkaufsroute nach persönlicher Präferenz (Discounter, Supermarkt, Bio-Laden etc.) ausarbeitet. Es kommt noch besser: Schon während der Fahrt stellt der Kaufmann im Supermarkt die Einkaufsliste zusammen, während daheim der Kühlschrank seine Temperatur in Erwartung neuer Lebensmittel herunterregelt und der Backofen vorheizt.
Und es geht noch persönlicher: Bei Siemens sind smarte Fitnesstracker mit den Küchengeräten im Dialog, um die Aktivität, mithin auch den Kalorienverbrauch des Nutzers zu optimieren. Bekommt der Nutzer seinen Hintern nicht hoch und hinkt seinem Fitnessziel hinterher, schlägt das Rezeptportal der Home Connect-App einen Salat statt Schweinebraten vor.
Zugespitzt: Wenn die eigene Intelligenz nicht reicht, kommt die künstliche ins Spiel. Künstliche Intelligenz kommt auch für Kaffee-Vollautomaten bei Jura ins Spiel. Das Top-Modell Z6 hält 22 Spezialitäten zur Auswahl parat. Dank der künstlichen Intelligenz ordnen sich die am häufigsten georderten Kaffeewünsche wie von selbst auf den vorderen Plätzen ein (mehr zu den Kaffee-Neuheiten – und auch zu weiteren Trendthemen) im Newsletter am 27. September und in der neuen Ausgabe des eMagazins KAFFEE+ Ende Oktober).
Ob Sprachsteuerung oder künstliche Intelligenz, von all’ den zukunftsweisenden Überflieger-Themen war in den traditionellen Kleingerätehallen im Südteil des Messegeländes bis auf wenige Ausnahmen (Caso) kaum etwas zu spüren. Zu sehen und auszuprobieren gab es alles, was den Küchen- und Haushaltsalltag leichter, komfortabler und genussvoller macht, darunter Saugroboter und Akku-Sauger, die den klassischen Staubsauger immer mehr vergessen machen, Hochleistungsmixer, die als Vakuum-Blender nach kurzer Verschnaufpause jetzt unter Marke wieder den Markt entern, neue Vollautomaten-Flaggschiffe bei allen renommierten Top-Anbietern und – im Sog des Markteintritts von Sage – Siebträger, die für Glanz (etwa bei De’Longhi) und „handmade coffee“ sorgen.
Während in den Hallen am Südeingang der Messe fast ein wenig „business as usual“ herschte, steppte in anderen Hallen zu Themen wie Drohnen, Wearables oder Smart Home der Bär, war das Zielpublikum gefühlt mindestens eine Generation jünger, die IFA lauter, schneller, schriller. Ein riesiges Future-Lab. Und Zukunftsthemen gibt es reichlich: das Leben in smarten Städten (Siemens), die Zukunft der Mobilität, virtuelle Medienwelten, digitale Innovationen für ein gesünderes Leben, Robotik, Smart Home – Fortsetzung folgt: Die nächste IFA wird – eine Woche später als gewohnt – vom 6. bis 11. September 2019 stattfinden.
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