Von Ute Fischer-Szelies
Ich schaue dem Espresso zu, wie er gemächlich in die Tasse fließt und genieße den intensiven Duft dieses kleinen, starken Kaffees. Gleich wird die goldbraune Crema den seidig glänzenden Milchschaum umrahmen und mein Kaffee-Kunstwerk vollenden. Wie freue mich auf meinen Cappuccino! Gedankenversunken lächle ich vor mich hin und denke an Manu.
Manuela und ich haben früher ständig stundenlang telefoniert und dazu Kaffee getrunken. Damals gab es allerdings nur „Schnellkaffee“-Kaffeepulver. Kochendes Wasser drauf, fertig. Manuela war meine beste Freundin während unserer Schulzeit. Wir haben so viel zusammen erlebt und waren immer füreinander da. Sie war für mich die wichtigste Person in meinem Leben. Auch nach der Schule hielten wir Kontakt und schworen, uns nie, wirklich niemals aus den Augen zu verlieren. Aber irgendwann passierte es doch und nach und nach wurde es stiller, bis wir irgendwann gar nichts mehr voneinander hörten.
Ich habe in all den Jahren oft an Manuela gedacht. Oft blieb mein Blick an meiner Pinnwand in meinem Büro hängen. Neben vielen Zetteln und Bildern hängt dort auch ein Schwarzweiß-Foto von uns beiden. Es ist 1984. Wir sitzen auf der großen Treppe vor unserer Schule und strahlen. Unsere Abschlusszeugnisse halten wir wie Trophäen in die Höhe. So oft dachte ich, dass es doch möglich sein muss, Manuela zu finden.
Der pure Zufall führte mich zu einem Zeitungsartikel. Ich ahnte sofort, dass die Frau auf dem Bild Manu sein könnte. Also fing ich an, zu recherchieren. Bald hatte ich eine Telefonnummer, die mich zu meiner Freundin führen könnte. Und heute rufe ich dort an. Ich bin ziemlich aufgeregt. Noch einmal tief ein- und ausatmen. Ich tippe die Nummer in mein Handy, es klingelt und … erstmal bleibt alles still. „Hallo?“, frage ich. Leise und überrascht fragt es in meinem Handy: „Üt, bist du das?“ Mir stockt der Atem. „Üt“, so hat mich seit Ewigkeiten niemand mehr genannt. Es ist eine „création“ meiner alten Französischlehrerin. Kurz darauf nannten mich alle so. Damals fand ich den Spitznamen einfach doof. Aber jetzt hauen mich diese zwei Buchstaben um. Ich habe das Gefühl, eine Zeit-Rolle-Rückwärts zu machen.
„Ja, sie ist es tatsächlich! Sofort sehe ich uns vor mir. Manuela in ihren löchrigen Jeans und dem riesigen Sakko ihres Vaters. Und ich mit Schulterpolstern, dauergewellter Mähne und einer schrägen Karottenhose. Ich habe Manuela gefunden. Nach wenigen Sätzen fühlt es sich an, als hätten wir gestern zum letzten Mal miteinander telefoniert und nicht vor mehr als 30 Jahren.
„Üt?“, fragt Manu nach einer Weile, „Wollen wir später in Ruhe bei einem Schnellkaffee weitertelefonieren, so in zwei Stunden?“ Ich habe sie in ihrer Werkstatt erwischt. Manuela ist Schreinerin. Großartig, sie hat sich also doch gegen ihre Eltern durchgesetzt, die damals eine Beamtenlaufbahn für sie geplant hatten.
Und ob ich will! Telefonieren und Schnellkaffee!
„Manchmal ist Kaffeetrinken mit der besten Freundin die einzige Therapie, die man wirklich braucht.“, steht auf einer meiner Kaffeetassen. Nachher, wenn ich nochmal in Ruhe mit Manu telefoniere, werde ich aus dieser Tasse meinen Kaffee trinken. Kaffeepulver in die Tasse und kochendes Wasser drauf. Das wird der beste, der aufregendste Kaffee, den ich in den letzten 30 Jahren getrunken habe.
(Ute Fischer-Szelies ist Diplom-Finanzwissenschaftlerin und arbeitet als Texterin und Mediensprecherin in Düsseldorf.)