Story

Lernfähiger Flammkuchen, oder: Die KI/AI führt Regie

Künstliche Intelligenz (KI, AI artificial intelligence) kann einem ganz schön auf den Zeiger gehen, also ziemlich nerven. Neues Auto gekauft und ab damit in den Sommerurlaub an die Nordsee. Vollgepackt war der neue Bolide nicht nur mit Strand-Utensilien, Kleidung für alle Jahreszeiten und Wetterextreme sowie einer Kiste Wein, sondern auch mit ungezählten Sensoren, Rundum-Kameras und Assistenzsystemen: Abstandshalter, Frontkollisionswarner, Passanten- und Radfahrer-Erkennung mit Notbremssystem, Parkassistent, Lichtassistent, Müdigkeitswarner, Spur-Assistent. Kurzum: Irgendein Signal piepste oder leuchtete immer. Noch keine fünf Minuten nach dem Start wird bereits vor der Autobahnauffahrt eine Kaffeepause empfohlen, wenig später, in einer Autobahnbaustelle mit alten weißen und neuen gelben Markierungen, mahnt der Spurassistent „Lenkrad übernehmen“ – aber mehr als zwei Hände am Steuer gehen nicht.
Im Dialog über Staubsauger-Roboter, die sich trotz KI unter dem Tisch festfahren: Dr. Thomas Salditt und Moderatorin Judith Rakers.

Verschwindend geringe 45 Kilometer hatte das Auto bei Urlaubsbeginn auf der Tachoanzeige, in puncto Künstlicher Intelligenz war mein fortan ständiger Begleiter auf vier Rädern noch im Säuglingsalter. Es fehlte allen Assistenzsystemen einfach an relevanten Daten und Parametern. 7.000 Kilometer später: Nach Großstadtverkehr und Landpartien, breiten Autobahnen und schmalen Insel-Schotterwegen, monsunartigem Regen und Sahara-Hitze sind wir Freunde geworden, und es piept und leuchtet nur noch selten – weil eben das Auto mit seiner künstlichen Intelligenz mit reichlich relevanten Daten gefüttert wurde und jetzt nur noch dann warnt, wenn es was zu warnen gibt.

„KI könnte helfen, inspirierender, sparsamer, sauberer und schneller zu sein“, Dr. Thomas Salditt.

Künstliche Intelligenz (KI/AI) inspiriert ^

Das ist die Vorstufe zum autonomen Fahren, und es fühlt sich gut an. Eben dank der KI/AI. Die gibt es übrigens auch immer öfter bei Hausgeräten. Manches ist schon seit geraumer Zeit gang und gebe, etwa, dass der Kaffee-Vollautomat die Vorlieben seiner Benutzer kennt. Anderes kommt jetzt im Vorfeld der IFA 2019 aus der Produktentwicklung auf den Markt. Auch hier gilt, wie beim teilautonomen Auto: „Die Hausgeräte mit ihrer KI müssen sich an mich gewöhnen und werden gemeinsam mit mir lernen“, sagt Dr. Thomas Salditt, Leiter Digital Business Enabling bei der BSH Hausgeräte GmbH in München. Salditt stellte Mitte Juli in Berlin im Rahmen des Innovationsforums „gfu Insights & Trends“ des IFA-Veranstalters gfu die Rolle der Künstlichen Intelligenz im Bereich der Hausgeräte vor: „Die Künstliche Intelligenz inspiriert und bietet genau das an, was einen persönlich interessiert.“

Sein Credo: Wenn Hausgeräte die Gewohnheiten ihrer Nutzer erkennen, können sie selbständig ihre Einstellungen und Betriebsabläufe anpassen. Das betrifft die Stärke des morgendlichen Espresso genauso wie die Vorgaben für Wasch- und Kochprogramme. All dies leistet einen Beitrag zu höherem Komfort im vernetzten Zuhause. Dr. Salditt: „Auch in Hausgeräten wird KI zunehmend zum Einsatz kommen. Fokus ist hier auf absehbare Zeit die Unterstützung der Konsumenten bei ihrer täglichen Hausarbeit, um das Leben sparsamer, leckerer, inspirierender, sauberer oder schneller zu machen.“

Referierte über die Rolle der Künstlichen Intelligenz im Bereich der Hausgeräte: Dr. Thomas Salditt, Leiter Digital Business Enabling bei der BSH.

KI/AI als persönlicher Assistent ^

Damit sorge die KI bei den Hausgeräten auf ihrem Weg zum ganz persönlichen Assistenten für mehr Spaß am Kochen, für mehr Lebensqualität. Salditt weiter: „Der Backofen backt nicht nur und weiß, wann das Backhendl fertig ist, er weiß auch ganz genau, wie kross ich es am liebsten mag.“ Das lässt sich beliebig fortsetzen: Die Spülmaschine lernt, ob mir ein schnelles Reinigungsergebnis wichtig ist oder ob ich wenig Wasser verbrauchen möchte. Und der Staubsauger weiß als mein persönlicher Assistent, in welchem Raum ich gerade bin.“

Notorische Zukunftspessimisten mögen sich da schütteln, der Reiz der neuen Technologien und der mögliche Komfortgewinn indes sind unstrittig. Schon vor etlichen Jahren priesen die Hersteller im Umfeld der IFA einen Kühlschrank, der das Essen quasi selbstständig nachbestellt. Gekommen ist er nie – eben, weil die Kunden nicht danach verlangten. Es ist also bei aller (von der Industrie und Messe-Veranstaltern propagierten) Euphorie immer auch eine gewisse Skepsis angebracht. Indes erobern aber immer mehr vernetzte Produkte mit KI die Küche und Waschküche, wie Waschmaschinen, die per App informieren, wann sie fertig sind, oder Geschirrspüler, die Reinigungstabs selbst nachbestellen können. Die Botschaft von Dr. Salditt in Berlin: „Man werde genau darauf achten, welche Entwicklungen einen wirklichen Kundennutzen bringen. KI werde dabei aber eine zentrale Rolle spielen.“

Dank KI weiß der Kühlschrank, wann Sie ihn nachts noch einmal plündern.

Großer Nutzen ^

Hans-Joachim Kamp, Aufsichtsratsvorsitzender der gfu, stellte zuvor die Ergebnisse der jüngsten Markt-Studie der gfu vor. Sein Beitrag „Geteilte Meinungen – wie KI beim Verbraucher ankommt“ ging u.a. der Frage nach, ob Künstliche Intelligenz akzeptiert wird oder eher auf Skepsis stößt. Manche Ergebnisse der Studie stützen die Erwartungen, andere überraschen. „Die Einstellung der Bevölkerung in Deutschland zur Künstlichen Intelligenz ist überwiegend positiv“, so Kamp. Generell sähen Verbraucher den größten Nutzen in der Medizintechnik, der Gesichtserkennung, der Verkehrslenkung sowie in der industriellen Fertigung.

Für bestimmte KI-Anwendungen zeigen die Studienergebnisse eine starke Polarisierung zwischen den Altersgruppen. So sehen 42 % der 16- bis 39-Jährigen den größten Nutzen von KI für den Bereich Smart Home. In der Altersgruppe über 59 sind es nur 14 % und über alle Altersgruppen sind es 29 %. Beim autonomen Fahren sind es ebenfalls die 16- bis 39-Jährigen, die mit 35 % den größten Nutzen sehen. Befragt nach den Gründen für Skepsis hinsichtlich Künstlicher Intelligenz nannten 60 % der Studienteilnehmer den Schutz der Privatsphäre. 59 % halten die Technologie noch nicht für ausgereift. 56 % befürchten eine umfassende Kontrolle durch KI und 38 % sehen keinen Mehrwert.

Faszinierend ist der Einzug von KI bei der Optimierung des Ton bei den TV-Geräten der Zukunft: Die Elektronik erkennt beispielsweise, ob der Sound zu einem Film gehört, aus einem Fußballstadion kommt oder aus dem Studio eines Nachrichtensprechers – und passt dann die Wiedergabe entsprechend an. Eben je nach Bedarf für bessere Sprachverständlichkeit, höhere Dramatik oder optimale Trennung von Fan-Chören und Kommentar. Darüber hinaus unterstützt KI Programmempfehlungen oder Automatik-Funktionen im vernetzten Haus.

Dank KI weiß das Kochfeld, wie Sie Ihr Steak am liebsten mögen.

Immer schlauer ^

Zurück zu den Hausgeräten: Bei Bosch zeigt die KI ihren Mehrwert jetzt erstmals auch in einem Sensor-Backofen der Serie 8. Er sagt vorher, wann Kuchen oder Braten fertig sein werden und berücksichtigt dabei die individuelle Zubereitung des Garguts im Backofen. In Kombination mit „Machine Learning“ eröffnet da eine ganz neue Dimension: Der vernetzte Backofen lernt auf Basis einer wachsenden Menge anonymisierter Daten zahlreicher Back- und Bratenvorgänge. Damit liefert er nicht nur Perfektion durch Hochleistungs-Sensorik, sondern wird im Laufe der Zeit immer schlauer, wenn es um das exakte Zubereitungsende des individuellen Gargutes geht. Je mehr und je häufiger Haushalte die mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteten Backöfen nutzen, desto exakter trifft der Backofen zuhause die Vorhersage für das individuelle Gar- oder Bratgut. Da lässt das neue Auto schön grüßen …

Wird im Backofen der Serie 8 beispielsweise ein Flammkuchen zubereitet, sorgt die Auswahl des entsprechenden Backsensorprogramms für ein Top-Ergebnis. Ergänzend informiert der Backofen mit Hilfe KI auch darüber, wann der Flammkuchen fertig zum Genuss bereitstehen wird. Das geht so: Die über den Backsensor erfassten Messwerte werden über die Home Connect-Vernetzung während des Backprozesses kontinuierlich an einen cloudbasierten Rechner gesandt. Hier liegt ein Prognosemodell, das mittels „Machine Learning“ auf der Basis anonymisierter Daten vorausgegangener Backprozesse für die Kategorie Flammkuchen erstellt wurde. Für den aktuellen Backvorgang wird dieses Prognosemodell alle 30 Sekunden angewendet, so dass das Ende des Backvorgangs an den Backofen gesandt werden kann.

Das lernende System sorgt mit wachsender Datenbasis für eine schnell zunehmende Genauigkeit der Vorhersage. Für den Konsumenten bedeutet das in Zukunft noch mehr Möglichkeiten, Rezepte nach seinen Wünschen anzupassen und die Zeit im Haushalt flexibel zu planen. Denn er erhält auch für sein nach persönlichen Vorlieben zusammengestelltes Flammkuchenrezept – beispielsweise mit einem höheren Feuchtigkeitsgehalt durch den gewählten Belag oder einer anderen Teigkonsistenz – eine zuverlässige Prognose des Backendes. Ach ja, auch weiterhin lassen sich Back- wie Bratsensor komplett unabhängig von allen digitalen Services nutzen.

Waschküche: Intelligenz auf breiter Front ^

Auch in der Waschküche zieht die Intelligenz auf breiter Front ein: Dank moderner Sensortechnologie und intelligenter Prozesstechnik stehen bei Bosch (wie bei fast allen führenden Anbietern) Waschmaschine und Trockner im engen Austausch miteinander: Die Waschmaschine sendet die Parameter des letzten Waschgangs, also Programm, Füllmenge und Restfeuchte, an den Trockner. Dieser wählt automatisch die passende Trocknungseinstellung. Damit bleibt er einzige Unsicherheitsfaktor in der Waschküche, der Mensch, praktisch außen vor.

Für Bosch-Geschäftsführer Harald Friedrich sind die neuen Geräte ein erster Schritt in eine neue Ära kundenzentrierter Technologien: „Wir wollen die wahren Bedürfnisse der Menschen erkennen und erfüllen. Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz kann für den Haushalt von großem Nutzen sein. Mit der Ergänzung unserer erfolgreichen Sensortechnologie durch Künstliche Intelligenz haben wir jetzt einen ersten Meilenstein gesetzt. Wir treiben diese Entwicklung und die vielfältigen Chancen, die sich für unsere Konsumenten mit künstlicher Intelligenz in Hausgeräten eröffnen, jetzt strategisch voran.“

Das wird der ganz große Trend des IFA-Jahrgangs 2019: Die Hausgeräte verändern sich in ihrem Rollenverständnis dank KI und Sensoren weg vom bloßen Werkzeug und hin zum persönlichen Assistenten. Das gilt in der Küche vom Backofen bis zum Kaffee-Vollautomaten genauso wie für die Waschküche und das Badezimmer.

Matthias M. Machan

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