Einlass im Zehn-Minuten-Takt, digitales Besucher-Management, Trennung zwischen Messebetrieb und Unternehmensgeschehen sowie ein konsequentes Fiebermessen bei allen eintreffenden Gästen in einem eigens dafür aufgebauten Einlassbereich: So konsequent wie Nobilia, Europas Marktführer für Küchen aus dem ostwestfälischen Verl, haben wir die Umsetzung der Corona-bedingten Sicherheits- und Hygienekonzepte bei Messen oder Veranstaltungen bislang nirgends erlebt.
Auf den rund 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche wurde nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen. Und dennoch war die Atmosphäre in dieser Messe-Ausnahmesituation absolut entspannt. Die Botschaft: (Haus-)Messen können auch im Pandemie-Jahrgang 2020 funktionieren, auch wenn Aufwand und Kosten ohne Zweifel beträchtlich sind.
Und auch wenn es nur eine Hand voll Aussteller mit Stecker waren: Die, die auf der Küchenmeile A 30 in Ostwestfalen präsent waren, konnten sich, ob Samsung bei Nobilia in Verl, Liebherr in der Architekturwerkstatt in Löhne oder Smeg, dass Gut Böckel in diesem Jahr für sich alleine hatte, über rege Nachfrage seitens des Handels nicht beschweren.
Positiv fällt auch die Bilanz der EK LIVE, wenn man auf den Aussteller-Mix schaut, die erste „echte“ Messe seit dem Corona-Ausbruch, in Bielefeld aus. Der Verlauf der ersten Hybridmesse der EK, die unter dem Motto „Safety First“ stand und von umfassenden Schutzmaßnahmen begleitet wurde, lässt die Ostwestfalen optimistisch die Messe-Zukunft schauen.
„Wir hatten zwar nur ungefähr dreiviertel der Besucher des Vorjahres, aber unsere rund 250 Aussteller waren damit voll zufrieden. Viele Aussteller haben sich auch schon für unsere Januar-Ausgabe der EK LIVE angemeldet“, zieht Daniel Kullmann, Abteilungsleiter Corporate Marketing & Communications bei der EK/servicegroup, im Gespräch mit infoboard.de Bilanz. Mehr noch: „Wenn wir unterm Strich die digitalen Besucher und die Präsenzbesucher zusammenzählen, kommen wir sogar auf ein kleines Besucherplus.“
Natürlich gab es auch in den EK-eigenen Ausstellungshallen in Bielefeld Dinge, die nicht optimal gelaufen sind: „Die Wegeführung war zum Teil etwas verwirrend. Und bei der Auslegung der behördlichen Auflagen waren wir vielleicht auch an manchen Stellen zu streng. Aber wir wollten kein Risiko eingehen. Am Ende haben aber alle, Besucher, Aussteller und die EK-Belegschaft etwas ganz Besonderes geschafft: eine fast normale EK Messe!“
So sieht es auch Johanna Graef, Vertriebsleiterin bei Gebr. Graef: „An der Belebung des Marktes in diesen Zeiten können wir nur gemeinsam arbeiten. Neben der trendigen Vielfalt bei Produkten und Herstellern brauchen wir dafür den intensiven Austausch mit dem Handel. Wir sind dankbar, dass wir nach längerer Abstinenz wieder einmal an einer echten Messe teilnehmen konnten.“ Philipp Markmann, Key Account Manager bei Miele, ergänzt: „Wir sind sehr zufrieden mit dem Verlauf der Messe, sowohl wirtschaftlich als auch unter dem sehr wichtigen Aspekt der Sicherheit.“
Fortsetzung folgt! Gemeinsam mit den Händlern und Industriepartnern setzen die Bielefelder jetzt darauf, dass die Pandemiesituation Anfang nächsten Jahres die Neuauflage der EK LIVE (20. bis zum 22. Januar 2021) als Hybridmesse zulässt. Vergleichsweise optimistisch ist man auch bei der Koelnmesse, in deren Hallen die die „LivingKitchen“ vom 18. bis 24. Januar im Messe-Doppel mit der „imm cologne“ über die Bühne gehen soll.
Indes: Die weltweite Corona-Krise hat massive Auswirkungen auf das internationale Messegeschäft, führt zu prominenten Absagen und Verschiebungen. So wird die CES in Las Vegas – ein Business- & Trend-Beschleuniger für die Branche zum Jahresbeginn, eigentlich 6. bis 9. Januar 2021 – in diesem Jahr nur digital stattfinden. Und die Inspired Home Show in Chicago ächzt bereits zum zweiten Mal unter dem Corona-Virus: Bereits im vergangenen März hatte die International Housewares Association die Veranstaltung für 2020 kurzfristig absagen müssen. Die 2021-Ausgabe wird um einige Monate nach hinten verschoben. Statt wie bisher ursprünglich vom 13. bis 16. März 2021 wird die Messe nun vom 7. bis 10. August 2021 in Chicago stattfinden.
Und hierzulande? Als die zeitlich bisher weitestgehende Maßnahme hat am 21. September die Messe Frankfurt mitgeteilt, dass sie im Jahr 2021 bis einschließlich März keine eigenen physischen Messen am Standort Frankfurt veranstalten wird. Folge: Statt einer Ambiente im Februar werden einmalig vom 17. bis 20. April 2021 die Messen Ambiente, Christmasworld und Paperworld als gemeinsame Veranstaltung unter dem Namen „International Consumer Goods Show – Special Edition“ in Frankfurt veranstaltet. „Viele Unternehmen erhoffen sich vom Messeauftritt einen Anschub ihrer Geschäfte nach dem Re-Start“, so Detlef Braun, Geschäftsführer der Messe Frankfurt.
Das Problem der Ambiente in Frankfurt, aber auch der IFA in Berlin: Die Infrastruktur für ein ausgefeiltes Sicherheits- und Hygienekonzept steht, doch viele Aussteller zögern mit der Rückkehr in die seit Mitte März verwaisten Hallen: Die einen, weil sie Angst vor einer Ansteckung haben und das Unternehmen (oder die jeweilige Regierung) keine Auslandsreisen zulassen, die anderen, weil sie befürchten, kein Geschäft zu machen, dass mangels Fachbesuchern den Aufwand und das Risiko lohnt.
Das klassische Henne-Ei-Prinzip: Ohne Aussteller keine Besucher – ohne Besucher keine Aussteller. Gerald Böse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse: „Jeder Messestandort muss sich den Auswirkungen der Pandemie auf seine Weise stellen und seine Entscheidungen den Besonderheiten des eigenen Portfolios entsprechend treffen.“ Und weiter, auch mit Blick auf imm cologne/LivingKitchen: „In Köln halten wir weiterhin an unseren Plänen fest, bald wieder Messen auf unserem Gelände zu veranstalten. Die Branchen wollen wieder an Messen teilnehmen.”
Wahr ist aber auch: Samsung verkauft seine TV-Geräte auch ohne die IFA, die Smartphones auch ohne den Mobile World Congress in Barcelona (auch verschoben, von März auf Ende Juni). Und von der Küchenmaschine über den Geschirrspüler bis hin zur Kühl-/Gefrierkombi oder zum Kaffee-Vollautomaten ist die Absatzkurve mitunter schwindelerregend in die Höhe geschossen, mithin ist die Nachfrage deutlich höher als die Kapazitäten. Braucht es da noch Messen? Ja, unbedingt! Weil Geschäfte zwischen Menschen gemacht werden und weil virtuelle Messen, so gut sie, wie zuletzt bei expert, auch gemacht sein mögen, das Look & Feel nicht ersetzen können.
Doch diese beiden gebetsmühlenartig wiederholten Pro-Argumente können wie süßes Gift wirken. Nicht wenige Aussteller haben ihre Messe-Pläne für (den Jahresbeginn) 2021 wenn denn nicht über den Haufen geworfen, so doch zumindest angepasst. Brauche ich eine komplette Halle, um mein Portfolio zu zeigen? Das scheint im Zeitalter der Digitalisierung genauso aus der Zeit gefallen, wie manche Technical Superstores mit ihrer Armada an vordergründig nahezu identisch aussehenden Kühlschränken und Waschmaschinen. Eine Abkehr an das „Größer, Schneller, Höher, Weiter“ vergangener Jahre scheint ziemlich wahrscheinlich.
39% der deutschen Industriefirmen, die bislang auf Fachmessen ausgestellt haben, wollen ihre Teilnahme verringern, vermeldete das ifo-Institut am 9. September. Und: Nur 2% wollen künftig an mehr Messen teilnehmen. „Messen bleiben weiter wichtig für die Unternehmen, aber sie werden sich verändern müssen“, sagt der ifo-Messeexperte Horst Penzkofer.
Eine kluge und zeitgemäße Antwort auf der Suche nach neuen Messeformaten ist Trendfairs, dem Veranstalter der Küchenmesse „area30“ in Löhne, mit dem Format kuechenherbst.online gelungen: Küche „kann“ digital und Fachmessen können auch online funktionieren. Das Trendfairs-Fazit: „Mit Blick auf sich ändernde Verhaltensmuster könnte der virtuelle Lösungsansatz eine Kommunikationsoption sein, die besonders die heranwachsende Generation von Entscheidern anzieht.“
Sicher ist: Nichts ist für immer. Hannover ohne die Cebit, Köln ohne die Domotechnica oder Düsseldorf ohne die Hogatec, das hätte sich noch vor einer Generation kein Messe-Verantwortlicher vorstellen können. Künftig haben wohl nur die eine Überlebenschance, die Ausstellern wie Besuchern einen Nutz- und Mehrwert vermitteln können. Ganz aktuell scheint das beispielsweise der „Caravan“ in Düsseldorf oder der von der Messe Frankfurt veranstalteten „Nordstil“ in Hamburg vortrefflich gelungen zu sein.
Die Startvoraussetzungen für die Premiere der neuen Kooperationsmesse KOOP von Euronics und expert, geplant vom 20. bis 23. Februar 2021 auf dem Gelände der Messe Berlin, scheinen mithin alles andere als rosig. Am 20. Juli sagte Dr. Stefan Müller, Vorstandsvorsitzender der expert SE im infoboard.de-Interview: „Wir müssen davon ausgehen, dass auch die KOOP 2021 unter Corona-Bedingungen stattfinden wird. Da benötigen wir ganz sicher auch einen Plan-B. Würden wir aber jetzt einen Plan-B kommunizieren, würden sich alle nur dafür interessieren. Wir setzten daher zunächst mal auf den Plan-A.“
Auf Nachfrage von infoboard.de vergangene Woche kündigte Dr. Müller eine Entscheidung für „Ende Oktober, Anfang November“ an. Aktuell befasse man sich „mit den Alternativen und Randbedingungen“ der KOOP in Abstimmung mit den Partnern Euronics und der Messe Berlin. Wer die virtuelle expert-Hauptversammlung oder die ebenfalls virtuelle Euronics Summer Convention verfolgt hat, hofft nicht ganz zu Unrecht: Die Krise ermöglicht auch die Chance für einen beherzten (hybriden?) Messe-Neuaufschlag!
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