Da braut sich was zusammen: Zwei Jahre lang hat die Otto Group Rekordergebnisse eingefahren, jetzt indes schlagen die Inflation und die Konjunkturkrise mit voller Wucht in die Bilanzen. In Deutschland ist der Umsatz im ersten Geschäftshalbjahr von März bis August um 13,5% zurückgegangen. Damit steht die Otto-Group freilich nicht alleine: Nach einer bereits schwächeren ersten Jahreshälfte sind auch die Gesamtumsätze im E-Commerce mit Waren von Anfang Juli bis Ende September zum Vorjahreszeitraum nominal, d.h. nicht inflationsbereinigt, weiter um 10,8% gesunken.
Ein Rückfall auf das Niveau von vor der Pandemie ist laut des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) dennoch nicht erkennbar: Die aufgelaufenen Umsätze der ersten drei Quartale dieses Jahres liegen 4,4% unter dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, aber 15% über dem Vergleichszeitraum des Jahres 2020 und noch immer 27,2% über dem Vergleichszeitraum des Jahres 2019.
Der E-Commerce kann sich also nicht von der Konsumstimmung abkoppeln. Sogar in Warengruppen, die noch ein leichtes Plus ausweisen, resultiert dies bestenfalls aus der allgemeinen Preissteigerung. Allerdings ist dies wohl kein strukturelles Problem des Vertriebswegs Internet. „Die Branche ist im 3. Quartal trotz der gegenwärtigen Krise des gesamten Handels gegenüber dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019 noch immer 16% im Plus”, erklärt Martin Groß-Albenhausen, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des bevh.
In der Konsumkrise …
Direkt nach ihren Ausgabenerwartungen gefragt, gaben im 3. Quartal im Durchschnitt 30,1% der Kunden an, im Vergleich zum jeweiligen Vormonat „weniger Geld für Waren im Onlinehandel ausgeben zu wollen“. Im 2. Quartal 2022 waren es noch 26,6%, im 1. Quartal 2022 nur 18,4% der Kunden.
In der Konsumkrise priorisieren die Kunden ihren Konsum neu und schieben nicht-essentielle Einkäufe sowie größere Kostenposten auf: Im Vergleich am stärksten getroffen hat es das Segment „DIY & Blumen“ mit einem Umsatzrückgang von 26,3%, gefolgt vom Segment „Auto & Motorrad“ (- 24,3%) und „Schuhe“ (- 22,3%). Das Segment „Haushaltswaren & -geräte liegt mit 11% im Minus.
Anzeichen, wonach die Konsumenten ihre Ausgaben nach Lockerung der Corona-Einschränkungen von Warenbestellungen hin zu Erlebnissen und Reisen verlagert haben könnten, sind schwach bis nicht vorhanden. So liegt der Umsatz mit digitalen Dienstleistungen, unter die das Ticketing für Events sowie Flug- und Reisebuchungen fallen, zwar um 28,7% über dem Vorjahreszeitraum. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Nachholeffekt nach dem enormen Einbruch während der Corona-Hochphase. Eigentlich hätte ein weit stärkerer Anstieg erwartet werden können.
Die schlechte Konsumlaune drückt sehr unterschiedlich auf die Umsätze der Händler. Mit einem Umsatzrückgang von 21,5% zum Vorjahresquartal trifft es die Multichannel-Händler am stärksten. Deutlich geringer fällt das Minus bei Online-Markplätzen (- 9,2%) und Online-Pureplayern (- 9,1%) aus.
Erfolgsfaktor direkte Kundenbindung?
Auffallend: Am stabilsten konnte sich der digitale Direktvertrieb der Hersteller halten (- 2,5%). Für besonders strahlkräftige Marken könnte sich in der Konsumkrise auszahlen, dass sie eine direkte und engere Bindung mit ihren Kunden unterhalten.
Auch vom nationalen Marktführer (Rang 2 hinter Amazon) kommt kein Trost. Im Gegenteil: Es sei der „perfekte Sturm” für den Online-Handel Otto-CEO Alexander Birken im Interview mit dem „Handelsblatt“: „Wir sehen auf der einen Seite eine Kaufzurückhaltung, wie wir sie noch nie gespürt haben. Und auf der anderen Seite haben wir beispiellose Preissteigerungen, die ja nicht nur die Kundinnen und Kunden treffen, sondern auch die Unternehmen”.
In konkreten Zahlen: In Deutschland sind die Umsätze der Otto Group im ersten Geschäftshalbjahr zwischen März und August 2022 um 13,5% auf vergleichbarer Basis gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Da die Otto Group in anderen Ländern aber noch wachsen konnte, gab es insgesamt nur ein Minus von 5,6%. Die Verbraucher würden im Moment auf jeden Cent achten. Und eine Trendwende sei nicht absehbar. „Niemand weiß, was im Weihnachtsgeschäft passieren wird“, so Birken.
Vor dem Hintergrund des schwierigen makroökonomischen Umfelds, insbesondere der durch den Krieg in der Ukraine weiter verschärften Inflation und des Rückgangs der Nachfrage, zieht die Otto Group eine gemischte Zwischenbilanz. Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2022/23, also von März bis August dieses Jahres, verzeichnet die Unternehmensgruppe einen Umsatzrückgang von weltweit 5,6%. auf vergleichbarer Basis* (ausgewiesen minus 1,8 Prozent).
Dabei zeigt der internationale Handels- und Dienstleistungskonzern, der seinen Gesamtumsatz im vergangenen Geschäftsjahr auf 16,1 Mrd. EUR steigern konnte, eine unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Geschäftsfeldern.
Ist die Otto Group in den ausländischen Märkten weiterhin klar auf Wachstumskurs, zeigt sich im konjunkturell stärker betroffenen Deutschland ein gegenteiliges Bild. So wächst die Otto Group im Ausland auf vergleichbarer Basis um 8,2%, ohne Bereinigung von Wechselkurseffekten sogar um 13,8%. In Deutschland dagegen sind die Umsätze im ersten Halbjahr 2022/23 um 13,5% auf vergleichbarer Basis zurückgegangen, ausgewiesen um 11,1%.
„Im perfekten Sturm“
Alexander Birken: „Wir befinden uns im viel zitierten perfekten Sturm. Wie die gesamte Handelslandschaft stehen auch wir vor der großen Herausforderung, die Balance zwischen Kaufzurückhaltung, steigenden Kosten und notwendigen Investitionen zu meistern. Wir haben jedoch den großen Vorteil, dass hinter uns zwei äußerst erfolgreiche Geschäftsjahre liegen, wir also auf einer sehr soliden Basis agieren. Wir sind sturmerprobt und haben die Segel schon vor Jahren – mit der Digitalisierung unserer Geschäftsmodelle und Vertriebskanäle sowie eines umfassenden Kulturwandelprozesses – richtig gesetzt. Das hat uns während der Corona-Lockdowns geholfen und das hilft uns jetzt.“