Der Handel im Jahr 2020 – zahlreiche Visionen formten sich um dieses magische Jahr. Vor circa zehn Jahren prallte die Digitalisierung auf die Handelswelt. Und zwar so immens, dass man sich die Frage stellte, ob der Handel offline überhaupt eine Zukunft hat. Die Krise verleitete dazu, sogar das Ende des stationären Handels auszurufen: Man sprach vom Aussterben der Innenstädte – zum boomenden E-Commerce kamen immer mehr Fachmarktzentren und Shopping-Center auf der grünen Wiese hinzu, die den Städten und Gemeinden die Besucher und Kunden raubten.
Evolution statt Revolution im Handel ^
Im Jahr 2010 lag das Wachstum des E-Commerce-Umsatzes im Vergleich zum Vorjahr bei knapp 30 Prozent. Während die Möglichkeiten im Netz überhöht wurden, schienen die kleinen, inhabergeführten (Fach-)Geschäfte dem Untergang geweiht. Doch heute sehen wir: Beim Wettkampf Online gegen Offline ging nicht einer der beiden als Sieger hervor, sondern es kam zu einer Vermischung. Beide Welten haben ihre Vorzüge – und in der Kombination bieten sie die besten aller Shopping-Erlebnisse.
Multichanneling und Omnichanneling wurden zur Maxime, Mobile Commerce wurde zum Hoffnungsträger, die Smartphone-affinen Konsumenten in die Läden zu locken. Heute sehen wir: Die Revolution im Handel war eine Evolution, bei der sich die anpassungsfähigsten und innovativsten Player – ob groß oder klein – prima platzieren konnten. Wir können die „Wiederverzauberung des realen Verkaufsortes“ genießen und erleben dabei die Vorzüge des „Überall-Verkaufs“.
Und nun? ^
Viele Unternehmen nannten in den vergangenen Jahren 2020 als Zeitpunkt, an dem sie die digitale Transformation vollzogen haben werden. Ob Wunsch oder Wirklichkeit, in wenigen Monaten kann man die Ergebnisse dem Stresstest unterziehen. Haben wir erreicht, was wir uns vorgenommen haben? Oder haben sich unsere Ziele im Laufe der Transformation verändert? Haben sich die Gegebenheiten gewandelt und konnten wir uns diesem Wandel adäquat anpassen?
Es ist Zeit, Resümee zu ziehen, aber vor allem auch vorauszuschauen. Denn während man sich auf die Transformation des eigenen Unternehmens fokussiert hat, geriet eines – das Wichtigste – häufig aus dem Blick: der Kunde. Technologien sind eine feine Sache, doch darf man sich nicht hinter ihnen verstecken. Bereits im Retail Report 2018 hieß das Zukunftsinstitut die Leser willkommen im Human Age: „Nach der digitalen Transformation kommt es zu einer Rückkehr des Menschen“.
Retail Report 2020: Den Kunden besser verstehen ^
Denn wer den Menschen als Individuum in der Zwischenzeit längst in den Fokusgenommen hat, sind die Tech-Unternehmen, die sich auf dem Handelsmarkt tummeln. Sie treiben die Hyperpersonalisierung von Angeboten voran – sie möchten mithilfe von Künstlicher Intelligenz den Kunden besser kennen als er sich selbst.
Und schon wieder setzt bei vielen Einzelhändlern die Verunsicherung ein: Kaum haben wir uns ins digitale Zeitalter gerettet, steht direkt die nächste technologische Umwälzung vor der Tür? „Künstliche Intelligenz ist keine höhere Lebensform“, formulierte es Sabine Bendiek, Chefin von Microsoft Deutschland, auf dem Deutschen Handelskongress 2018 in Berlin. In vielen Bereichen der Wertschöpfungskette kommt die KI bereits erfolgreich – und ohne viel Aufsehen – zum Einsatz. Doch Maschinen können keine Menschen bei der Kuratierung des Angebots oder bei der Beratung und Betreuung von Kunden ersetzen.
Ökosystem muss sich permanent neu erfinden ^
Die einen mag es beruhigen, die anderen alarmieren: Jeff Bezos selbst sieht Amazon nicht als unverwundbar an: „Amazon ist nicht zu groß, um zu scheitern. Ich prognostiziere sogar, dass Amazon in der Tat eines Tages scheitern wird. Amazon wird pleitegehen. Wenn man auf große Unternehmen schaut, beträgt deren Lebensspanne in der Regel zwar mehr als 30 Jahre, jedoch nicht viel mehr als 100 Jahre“. Zumindest beschreibt diese Aussage klar die DNA des Unternehmens: nämlich sich als digitales Ökosystem permanent zu verändern, weiterzuentwickeln und neu zu erfinden.
Doch wer als Ökosystem existieren will, muss alle Akteure miteinbeziehen und gegenseitig für ihr Wohlergehen sorgen. Die Funktionalität ist auf diesem Zusammenspiel von unterschiedlichen großen und kleinen Playern aufgebaut. Konkurrenz war gestern, Coopetition (Verbindung von Cooperation und Competition) wird zur Maxime der kommenden Jahre. Übrigens spielt der Mensch hier ebenfalls die Hauptrolle. „Vom Konsumenten besessen zu sein“, so Jeff Bezos, sei der einzige Weg, das Scheitern in die Länge zu ziehen.
Werden wir jetzt alle „amazonisiert“? Wann werden die Roboter in den Laden kommen? Setzt sich der Dash-Button doch noch durch bzw. was folgt? Theresa Schleicher ist natürlich keine Wahrsagerin. Aber sie ist eine der führenden Retail-Berater in Deutschland. Die charismatische Zukunftsforscherin und Strategin berät seit vielen Jahren die Handelsbranche, darunter innovative Handelskonzerne wie Zalando, Otto oder Migros, wie sie auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die Tech-Trends und die Wünsche der Kunden reagieren können. Seit 2013 ist sie als Trend- und Zukunftsforscherin für das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main und Wien tätig und veröffentlicht seit 2015 den regelmäßig erscheinenden Retail Report mit den Trends und Branchenentwicklungen der nächsten Jahre.
RetailReport Überlick-Trends ^
Vertiefende Informationen zum Thema unter: www.zukunftsinstitut.de