Aus gutem Grund veranstalteten der Handelsverband BVT und die Industrieorganisation ZVEI Mitte Mai in Hamburg einen Branchendialog zum Thema Kartellrecht. (infoboard.de berichtete). Hohe Kartellstrafen, anhängige Verfahren und nicht zuletzt die Auseinandersetzung des Kartellamtes mit der BSH – damals noch BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH – verdeutlichen die Brisanz des Themas.
Was geht, was geht nicht? Anhaltspunkte dazu gab auf dem Branchendialog Dr. Markus Wagemann, Leiter der 7. Beschlussabteilung beim Bundeskartellamt in Bonn. So führte er unter anderem aus:
- Ob selektiver oder nicht selektiver Vertrieb, Hersteller dürfen nicht nachgelagerte Vertriebswege der Händler durch entsprechende wirtschaftliche Anreize steuern.
- Pauschale Plattformverbote sind kartellrechtlich inakzeptabel.
- Qualitative Leistungsanforderungen für den stationären und den Online-Vertrieb innerhalb eines selektiven Vertriebssystems oder einer Jahresvereinbarung sind zulässig. Sie können je nach Vertriebskanal unterschiedlich sein. Es gilt dabei das Äquivalenzprinzip: Bei gleichwertiger Leistung müssen gleich hohe Rabatte erzielbar sein.
- Fixe Zuschüsse wären ein wettbewerblich „mildere“ und stärker aufwandsbezogene Alternative.“ Ebenfalls als „mildere Alternative“ bezeichnete der Kartellwächter, dem Online-Handel qualifizierte Vorgaben vorzuschreiben.
Soweit das rechtlich, theoretische Grundgerüst. Doch wie sieht die Praxis aus? Um entsprechende Hintergrundinformationen zu erhalten, befragte Infoboard.de Hersteller, die bereits – zum Teil seit Jahren – mit „Selektiven Vertriebssystemen“ an der Handelsfront agieren. Wir baten die Industrie um Antworten zu:
- Idee und Zielsetzung Ihres Vermarktungskonzeptes
- Die Kern-Elemente des Konzeptes
- Welches sind die kartellrechtlichen Grundlagen des Konzeptes?
z.Bsp.: Fixe Zuschüsse, qualitative Kriterien
- Gibt es Klagen gegen ihr Konzept von Seiten spezieller Händlergruppierungen (Pure Onliner) oder seitens des Kartellamtes?
Unser Fragenkatalog stieß jedoch nicht nur auf ungeteilte Freude. Die Sorge, andere Unternehmen schlau zu machen, wofür man jahrelang Knowhow aufgebaut und viel Geld in juristische Expertisen investiert hat, kann man bestens nachvollziehen. Umso dankbarer sind wir insbesondere Jura und Dyson, die bereitwillig wichtige Basiselemente ihrer Konzepte offen gelegt haben.
[incor name=”vertrieb-01″]Vorreiter Jura
Rolf Diehl, Geschäftsführer Jura Deutschland, skizziert das Konzept des Premiumanbieters im Kaffeesektor wie folgt: „Jura hat als erstes Unternehmen der Hausgeräte-Branche bereits im Jahr 2002, also vor 13 Jahren, ein selektives Vertriebskonzept in Form von Vertriebsbindungsverträgen mit qualitativen Kriterien sowohl für den stationären als auch für den Online-Handel eingeführt. Unser selektives Vertriebskonzept gehört seitdem zu den Grundpfeilern unserer Premium-Strategie. Wir haben von Beginn an großen Wert darauf gelegt, dass die Hochwertigkeit unserer Produkte und Dienstleistungen in entsprechendem Rahmen dem Verbraucher vermittelt wird. Dazu gehören sowohl das aktive Vorführen der Geräte wie auch die Verkostung der unterschiedlichen Kaffeespezialitäten. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass der qualifizierte Fachhandel mit speziell geschultem Verkaufspersonal die optimalen Voraussetzungen bietet, um Premiumprodukte, wie die unsrigen, zu vermarkten.
Bei der Konzeption unserer Verträge haben wir uns in erster Linie von einer renommierten Anwaltskanzlei beraten lassen, mit der wir bereits seit Jahren zusammenarbeiten. Klagen gegen unser Konzept sind mir nicht bekannt.“
[incor name=”vertrieb-02″]Liebherr: Beratungskatalog als Maßstab
Zum 1. März dieses Jahres hat Liebherr eine Modifikation seines Vertriebskonzeptes umgesetzt. Der Mitgliederinformation teleringNews Januar/Februar 2015 entnehmen wir die nachfolgenden Zeilen: Mit der Einführung des Selektiven Vertriebssystems zum 1. Juli 2010 beabsichtigte der Kältegeräte-Spezialist Liebherr die Einhaltung von Mindestqualitätskriterien beim Vertrieb seiner Geräte festzuschreiben. Zu den Kernkriterien des Systems gehörten unter anderem die Erbringung definierter Serviceleistungen, die Teilnahme an Schulungen sowie eine markenentsprechende Warenpräsentation.
Um die Distributionsqualität angesichts veränderter Rahmenbedingungen und Kundenanforderungen auch weiterhin zu sichern, startet das deutsche Traditionsunternehmen nun zum 1. März 2015 mit dem „Liebherr Fachhandel Plus Nachlass-System“ – kurz LFH+. Es definiert über alle Vertriebskanäle hinweg präzise und messbare Qualitätskriterien, regelt durch einen Beratungskatalog einen einheitlichen Auftritt und gibt Richtlinien für den Onlinehandel vor.
Zu den Kriterien zählen unter anderem: Alle Konsumenten werden durch geschultes Verkaufspersonal persönlich beraten. Ferner gilt: Die Beratung erfolgt gemäß der Vorgaben des Liebherr Beratungskataloges.
Bei Erfüllung aller Kriterien gewährt Liebherr dem Fachhändler einen Nachlass auf die Einkaufspreise von derzeit 170 Modellen und zertifiziert Sie zudem als Fachhandel Plus Partner. Das LFH+ Sortiment ist zwar für alle autorisierten Liebherr Vertriebspartner erhältlich. Es erhalten jedoch nur jene einen Nachlass, die die LFH+ Zusatzvereinbarung unterschrieben haben und die vereinbarten Qualitätskriterien einhalten. Soweit unser Extrakt aus der Kurzbeschreibung der telering Verbundgruppe zum Liebherr Fachhandel Plus Nachlass-System.
[incor name=”vertrieb-03″]Dyson setzt auf „Fixe Zuschüsse“
Alexander Schmidt, Geschäftsführer Dyson DACH, beschreibt die Selektive Vermarktung seines Hauses mit den Worten:
„Ziel des selektiven Dyson Vertriebssystems ist, höchstmögliche Qualität in Darstellung und Beratungsleistung für unsere Premium-Haushaltsgeräte zu gewährleisten. Davon profitieren sowohl die zertifizierten Handelspartner als auch die Endverbraucher.
Anfang 2014 hat Dyson ein europäisches Preis- und Konditionensystem eingeführt. Ausgehend von einheitlichen Listenpreisen für alle Handelspartner werden leistungsabhängige Boni für effizienzsteigernde sowie vermarktungsunterstützende Maßnahmen vergütet.
Die Leistungsparameter gelten für alle Kanäle und sind sowohl für stationäre als auch Online-Händler anwendbar. Dies trägt der heutigen Realität Rechnung, dass der Großteil unserer Kunden als Omni-Channel Händler auftritt. Als besondere Form der Unterstützung stationärer Händler bieten wir einen umsatzunabhängigen Ladenkostenzuschuss an, der die besonderen Kosten stationärer Fachhändler (z.B. Beratungspersonal, Ladenmiete) teilweise mitfinanzieren kann.
Das Konzept wurde mehrfach intensiv durch Fachanwälte in ganz Europa geprüft und mit deren Hilfe entwickelt. Wir unterziehen das Konzept einer regelmäßigen Überprüfung anhand aktueller Kartellamtsentscheidungen. Daher gibt keinerlei Klagen gegen unser Konzept – im Gegenteil. Wir haben seit Einführung wiederholt sehr positives Feedback erhalten.“
[incor name=”vertrieb-04″]Ein erstes Fazit
Drei Konzepte, die in vielen Punkten Gemeinsamkeiten aufweisen: So vermarkten alle drei Unternehmen anerkanntermaßen Premiumprodukte. Alle drei Strategien basieren auf klar definierten, qualitativen Leistungsanforderungen. Über die zwei Kriterien Premiummarke und qualitative Aspekte hinaus, gewährt Dyson noch zusätzlich „fixe Zuschüsse. Legt man als Maßstab das rechtlich, theoretische Gerüst von Dr. Markus Wagemann diesen „Selektiven Vermarktungsmechanismen“ an, so dürften zumindest Premiummarken mit dem Kartellamt nicht in Konflikt kommen. Sicher ist aber auch: Der administrative Aufwand für einen „Selektiven Vertrieb“, der den Normen des Kartellrechts gerecht wird, ist immens.