Volles Haus beim „Tag des Mittelstandes 2015“ von markt intern Ende September in Düsseldorf. Die Teilnehmer erlebten ein Bouquet von höchst interessanten Vorträgen, Workshops und Coaches. In diesem Beitrag kann die Bandbreite des Kongresses nur ansatzweise wiedergegeben werden. Daher erfolgt eine Konzentration auf das Highlight des Tages, das nach Auffassung der vielen Gäste unbestritten die Podiumsdiskussion zum Thema „Geiz statt Service – schafft das Internet den stationären Fachhandel ab?“ darstellte.
Durch die Teilnahme von Dr. Reinhard Zinkann, geschäftsführender Gesellschafter von Miele, und durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Euronics Deutschland eG, Dirk Wittmer, bekam die Diskussion für unsere Hausgerätebranche noch eine zusätzliche, hochkarätige Note.
Darüber hinaus diskutierten: Alexander Graf, Herausgeber es Blogs Kassenzone, Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie Prof. Dr. Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Das Panel wurde moderiert von der Publizistin Dr. Cora Stephan sowie durch Dr. Frank Schweizer-Nürnberg, Chefredakteur des markt intern Informationsbriefes Mittelstand.
So viel vorweg: Nur eine Stimme war überzeugt davon, dass der stationäre keine Überlebenschance habe und die Sterbeglöckchen bereits leise klingeln. Diese kam von Alexander Graf, Herausgeber des Blogs Kassenzone und unter den Diskutanten der einzig wirklich erprobte Internet Marketer. Seit 2011 führt Graf das Expertennetzwerk eTribes, das unter anderem den Verlag Gruner + Jahr sowie die Otto-Group betreute.
Graf ist der Auffassung, der stationäre Handel könne mit der Geschwindigkeit der Onliner nicht mithalten, ebenso bei den Themen Preis, Warenverfügbarkeit und Convenience. Daher, so Graf, überrollen die Pure Player regelrecht den stationären Handel. Hinzu kommt, dass der kleine Einzelhandel mit den heute notwendigen komplexen Technikprozessen restlos überfordert sei.
Bildgalerie “Tag des Mittelstandes 2015”
Handel muss in die Pötte kommen
Die gegenteiligen Auffassungen ließen nicht lange auf sich warten. Man war sich einig, die Ladengeschäfte haben weiterhin Zukunft. Unter einer Bedingung: Sie müssen sich verändern, neue interessante Elemente herausarbeiten. Professor Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein, formulierte es noch drastischer: „ Der Handel müsse in die Pötte kommen, insbesondere diejenigen, die außerhalb der Ballungszentren ihre Geschäfte betreiben.“ Bereits heute werden nach Erkenntnissen des eWeb Research Center rund 40% aller Spielwaren online eingekauft, bei Bekleidung beträgt der Wert bald 30% und bei Unterhaltungselektronik verbucht das Internet rund 40% Anteil auf sich.
Auch Dr. Reinhard Zinkann hält fest: „Wer sich disruptiven Veränderungen nicht stellt, der wird auf Dauer nicht überleben. Dies gilt für Handel wie auch Industrie. Und er fährt – unter großem Beifall – fort: „Für mich ist klar, dass ein hochwertiges Produkt einen Fachhandel braucht, der es versteht, der es erklärt, der es vermittelt. Darüber gibt es keine zwei Meinungen.“ Zum Thema Miele auf Amazon führt Zinkann aus: „Entscheidend ist, dass der Fachhandel seine Marge benötigt. Diese muss sichergestellt sein. Aus juristischen Gründen – sprich Kartellrecht – heutzutage nicht ganz einfach. „Wenn sie sicherstellen können, dass das Internet nicht wie in den ersten Jahren seines Entstehens als Preisverramscher verstanden wird, sondern dem Endgebraucher auch eine Informationsplattform inklusiver entsprechender Dienstleistung zur Verfügung stellt, dann kann man hier durchaus von einer Fachhandelsleistung sprechen.“
„Die Frage, die sich jetzt stellt, ist der Preis das Entscheidende, was Menschen ins Internet treibt. Hier behaupte ich, an 50 Euro ist ein Geschäft meistens noch nicht gescheitert. Das Internet gilt heute als Informationsplattform. Sofern kann ich Händlern nur raten, das auch zu nutzen und für sich einen entsprechenden Webauftritt generieren.“
Ansehen. Berühren. Fühlen.
Warum glaube ich an die Zukunft des Fachhandels? Weil Geschäfte immer von Menschen mit Menschen gemacht werden. Und das „Feel, Smell and Touch“ ist durch nichts zu ersetzen. „Menschen wollen seit Jahrtausenden immer etwas berühren, etwas fühlen, die Damen im Spiegel ein Kleid ansehen und in Schuhen muss man vorher schon mal gelaufen sein. Wenn der Handel dann noch einen entscheidenden Service bieten kann, wird er aus meiner Sicht, immer eine Überlebenschance haben. Dabei spiel der Faktor Mensch eine große Rolle.“
Dirk Wittmer nahm auf eine aktuelle Studie der Universität Köln Bezug. Danach verkaufen Hersteller, die ausschließlich übers Internet vermarkten, d.h. nur auf die Sinne Sehen und Hören achten, deutlich weniger. Nachgewiesen und evaluiert haben Professoren der Uni Köln, wenn Verbraucher bzw. Verbraucherinnen schmecken, fühlen, anfassen und auch riechen können, man deutlich mehr verkauft.
Wittmer zieht daraus das Fazit: „Ich glaube, dass Hersteller, die in Zukunft noch Wertschöpfung erzielen wollen, nicht daran gelegen sein kann, dass wir in Zukunft im ganzen Markt keinen Wettbewerb mehr haben, sondern nur noch vier Internetanbieter. Das Institut für Handelsforschung IFH, Köln, prognostiziert, dass in den nächsten fünf Jahren 90% aller Onlinehändler und 70% der stationären Händler verschwinden werden. Was wir lernen müssen, ist mit der Möglichkeit die der Endverbraucher heute hat, anders zu kommunizieren und dann haben wir eine große Chance.“ (großer Beifall).
Wittmer nahm auch die Industrie in die Pflicht und bemängelte die kurzfristige Sichtweise der Anbieter. „Es kann nicht sein, dass die Industrie durch Preis- und Marktsteuerung es ermöglicht, dass im Internet um 20% billiger angeboten werden kann.“ Wer kann in Deutschland so viel Geld verschenken, fragt sich Wittmer.
Kein Verständnis hat Wittmer mit der Auffassung des Kartellamtes. „Das Kartellrecht präferiert den Internethandel. Wenn das Kartellrecht in Deutschland so angewandt wird, dass jeder Mitbewerber nur zu gleichen Netto-Netto Preisen anbieten muss, dann gibt es keine Honorierung mehr, um wertige Ware zu zeigen.“
Gute Produkte, gute Margen
Breite Zustimmung zur Thematik Kartellamt. Alexander Graf spricht von einer bereits bestehenden oligopolistischen Struktur in der Onlineszene. Nach Prof. Heinemann fördert die Politik durch Reglementierungen bei den Ladenöffnungszeiten wie auch durch langwierige Genehmigungsverfahren bei Bauvorhaben eindeutig den Onlinehandel.
Und trotz aller Problematik ist Zinkann überzeugt: „Der Einzelhandel muss leben, der Einzelhandel wird leben, wenn er sich richtig aufstellt. Wir als Hersteller müssen dazu beitragen, dass dies möglich ist, durch gute Produkte und gute Margen.“ Das klingt staatsmännisch, ein wenig nach Sonntagsrede…
Zitate
- „Innenstadt ist nicht nur Inspiration, sie ist für die meisten Kunden Stress. Warum schickt der Händler seinen Kunden keinen Parkschein zum Besuch der Innenstadt zu?“
Prof. Dr. Gerrit Heinemann - „Feel, smell and touch ist durch nichts zu ersetzen“
Dr. Reinhard Zinkann - „In der Abgrenzung zu Media Markt kann der Fachhandel sehr gut leben“
Dirk Wittmer - „Shopping-Queens sind doch mal die Weibers, die in die Stadt gehen und dort was erleben wollen“
Dr. Cora Stephan - „Bürger warten auf den Tante Emma Laden“
Dr. Frank Schweizer-Nürnberg, - „Verödete Innenstädte haben was mit Kundenentscheidungen zu tun. Wir versuchen auf kommunaler Ebene, Stadtentwicklungskonzepte aufzusetzen“
Franz-Reinhard Habbel