Werden wir wieder vermehrt auf dem Land leben oder gehört die Zukunft der Stadt? Der Entwicklung der vielzitierten „Landflucht“ steht nun auch das Phänomen der “Stadtflucht” gegenüber. Ein gekürzter Auszug aus 50 Insights – Zukunft Des Wohnens.
Im Jahr 2014 sind zum ersten Mal mehr Deutsche aus Berlin, Hamburg und den fünf anderen größten deutschen Städten weggezogen als neu hinzukamen (Kollenbroich/Teevs/Kaiser 2016). Die Gründe für die Stadtflucht sind entweder finanzieller Natur oder liegen in der Sehnsucht nach mehr Ruhe und Übersichtlichkeit – oder einer Mischung aus beidem. Steht diese Entwicklung nicht im Widerspruch zur vielbeklagten Landflucht, die ganze Regionen vergreisen und Unternehmen abwandern lässt? Oder ist das nur konsequent angesichts der vielen Meldungen über überfüllte Städte und daraus resultierende Wohnungsnot? Beides stimmt.
Erstmals seit zwanzig Jahren war 2014 in den sieben größten deutschen Städten der Wanderungssaldo, also die Differenz aus Zu- und Fortzügen, negativ. Und noch eine unerwartete Tendenz wurde 2014 sichtbar: Es zogen in diesem Jahr erstmalig seit der Wiedervereinigung Deutschlands mehr Menschen von West nach Ost anstatt andersherum. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) grenzt diesen Trend jedoch ein und spricht von großen regionalen Unterschieden. Die Regionen um Berlin, um Leipzig oder Dresden herum sind für viele Westdeutsche besonders attraktiv. Ein Trend hin zur Suburbanisierung lässt die Speckgürtel in diesen Regionen wachsen. Rund um Berlin entstehen gerade viele neue Wohngebiete, in erster Linie Einfamilienhäuser. Hier ziehen die ehemaligen Stadtfamilien mit Kindern hin, Studenten und andere jüngere Menschen rücken in den Städten nach. So bleibt ein Minus auf dem Land.
In den Städten, in denen gravierende Wohnungsnot herrscht, ist die Leerstandsquote unter ein Prozent gesunken. Welche Städte davon betroffen sind, zeigt der 2016 veröffentlichte Leerstandsindex des Marktforschungsunternehmens Empirica und des Immobiliendienstleisters CBRE (Empirica/CBRE 2016). Besonders gering ist dieser Wert mit 0,2 in München. Das heißt, dass Ende des Jahres 2015 nur noch 0,2 Prozent der verfügbaren Wohnungen leer standen. Entsprechend spürbar knapp ist das Angebot auf den dortigen Immobilienmärkten.
Großes Manko für mittelgroße Städte ist und bleibt eine strukturschwache Umgebung. So ist die Leerstandsquote im rheinland-pfälzischen Pirmasens innerhalb von fünf Jahren um 1,4 Prozentpunkte auf 9,3 Prozent gestiegen. Das führt letztlich sogar so weit, dass hier die Lebenserwartung am niedrigsten in ganz Deutschland ist – eine sich selbst verstärkende Entwicklung, die jeden Bewohner flüchten lässt, der es sich leisten kann und noch jung genug ist.
Ländliche Regionen oder Dörfer haben Anfang des 21. Jahrhunderts einen zwiegespaltenen Ruf: Einerseits gelten sie als „vergreiste“ Provinz, in der nur noch gestorben und nicht mehr gelebt wird. Andererseits werden sie zu einer utopischen Naturidylle stilisiert, in der der informationsüberflutete Mensch endlich wieder zu sich selbst zurückfindet. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit stehen fehlende Arbeitsplätze auf dem Land, mit kultureller Vielfalt lockende Städte und eine Abwärtsspirale von Abwanderung, Infrastrukturrückbau und noch mehr Abwanderung aus den ländlichen Gebieten. Gleichzeitig versuchen Städter in ihren Nachbarschaften und Interessensgemeinschaften die vermissten sozialräumlichen Muster von Dörfern in Form kollaborativer Wohn- und Lebensformen zu etablieren.
Alles in allem zeigt sich eine Dynamik, der multiple Faktoren zugrunde liegen und die schwer zu unterbrechen ist. Dörfer müssen in Zukunft von ihren Bewohnern von innen heraus vitalisiert werden – andernfalls werden sie konsequent entsiedelt.
Quelle: Zukunftsinstitut Frankfurt/Main, www.zukunftsinstitut.de, Autorin: Christiane Varga
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