GUSTOrazzo 2022 Frühjahr

108 GUSTOrazzo „Als Inspektor mu man positiv ve ückt sein“ Der Guide Michelin ist aus der Welt der Gastronomie nicht mehr wegzudenken. Hochausgebildete Inspektoren testen Jahr für Jahr die besten Küchen des Landes – immer auf der Suche nach neuen Entdeckungen. Ein Traumjob, so mögen viele denken. Und ja, Ralf Flinkenflügel, Direktor des Guide Michelin Deutschland und Schweiz kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Er sagt jedoch auch, dass die Arbeit eines Inspektors aufwändig und selten so glamourös ist, wie man sie sich oft vorstellt. Im Gespräch erklärt Flinkenflügel, welche Fähigkeiten Bewerberinnen und Bewerber mitbringen müssen, wie ein Restauranttest abläuft und was den Guide Michelin seit über 120 Jahren so erfolgreich macht. Herr Flinkenflügel, Sie sind seit 2009 Direktor des Guide Michelin Deutschland und Schweiz. Doch wie kamen Sie dazu, Inspektor zu werden? Ich habe ganz klassisch eine Ausbildung zum Koch und Hotelfachmann gemacht und war insgesamt über zehn Jahre in der Gastronomiebranche sowohl international als auch an der Hotelfachschule tätig, bevor ich zu Michelin kam. Der Beruf des Guide Michelin Inspektors war dabei immer ein Traum für mich, schien jedoch unerreichbar. Durch eine glückliche Fügung erhielt ich den Kontakt zu einem ehemaligen Inspektor, der mich darauf aufmerksam machte, dass sie jemanden suchen. Das wurde aber weder in Fachzeitschriften noch sonst irgendwo öffentlich kommuniziert. Und so habe ich mich ganz unbedarft auf die Position beworben. Das erste Gespräch fand gleich in einem Sterne-Restaurant statt. Übrigens noch heute treffen wir uns mit Bewerbern in einem Restaurant und erwarten nach dem gemeinsamen Essen einen Bericht von den Kandidaten. So können wir sehen, wie sie die Gerichte wahrnehmen, über welche Produktkenntnisse sie verfügen, und ob das Gefühl für gutes Essen vorhanden ist. Welche Eigenschaften und Fähigkeiten müssen Kandidaten mitbringen, um Inspektor werden zu können? Wir arbeiten ausschließlich mit festangestellten Fachleuten zusammen, die bereits auch international tätig waren und somit umfangreiches, gastronomisches Wissen mitbringen. Neben diesen fachlichen Kenntnissen muss aber auch eine gewisse Reisebereitschaft da sein. Inspektoren sind bis zu 28 Wochen im Jahr mehr oder weniger allein unterwegs. Darauf weisen wir in jedem Gespräch deutlich hin, denn wir wissen, dass das nicht jedermanns Sache ist. Ganz wichtig ist uns selbstverständlich die Affinität zum und fürs Essen! Sie müssen mit einer absolut offenen Einstellung an die verschiedenen Küchen herangehen und auch ein wenig positiv verrückt sein nach kulinarischen Erlebnissen sowie unterschiedlichen Küchenstilen. Abgesehen davon sollte es charakterlich passen, das gilt bei uns wie bei jedem anderen Unternehmen auch. Als Guide Michelin Inspektor arbeiten wir eher dezent im Hintergrund und nehmen uns zurück. Außerdem erfordert es ein hohes Pflichtbewusstsein, denn die Testessen müssen sehr gewissenhaft durchgeführt und bewertet werden. Nach dem Essen ist somit noch viel Schreibarbeit erforderlich, da ein detaillierter Bericht erstellt wird. Können Sie uns erklären, wie ein Besuch des Michelin Inspektors abläuft? Gibt es wirklich nur eine einzige Chance pro Jahr für die Restaurants? Im Vorfeld plant jeder Inspektor seine Touren akribisch, wann und wo er welches Restaurant besucht. Dabei müssen wir uns an den Öffnungszeiten orientieren sowie Hotels und Tische oftmals weit im Voraus reservieren. In der Regel werden ungefähr acht bis neun Essen in einer Woche absolviert. Die Restaurants besuchen wir dabei als ganz normaler Gast und bestellen meist komplexere Gerichte, die das handwerkliche Können und fachliche Niveau der Küchen am besten erkennen lassen. Das müssen nicht zwingend die teuersten Menüs der Karte sein. Alle von uns empfohlenen Restaurants werden regelmäßig getestet. Vor allem im Bereich der Sterne-Häuser beobachten wir die Leistung sehr genau. Hier testen mehrere Inspektoren, wenn zum Beispiel ein Restaurant davor ist, einen neuen Stern zu erhalten oder vielleicht sogar einen zu verlieren. Es wird also kein Stern aufgrund einer einzelnen Erfahrung aberkannt oder neu vergeben. Nach dem Essen verfassen wir einen mehrseitigen Bericht, in dem jedes einzelne Gericht genau vom Inspektor analysiert und nach bestimmten Kriterien bewertet wird. Hier geht es unter anderem um die Qualität der Produkte, die Zubereitungsart, die Zusammenstellung der einzelnen Komponenten oder die geschmackliche Balance auf dem Teller. Abschließend wird das Restauranterlebnis noch einmal zusammengefasst, und der Inspektor spricht eine Empfehlung für die Ausgabe des Guide Michelin aus.

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