GUSTOrazzo 2022 Frühjahr

109 GUSTOrazzo Sie sind bei den Besuchen immer „undercover“ unterwegs: Wie schaffen Sie es, immer anonym zu bleiben? Wir verfolgen unterschiedliche Maßnahmen, um die Anonymität zu gewährleisten. Das geht damit los, dass wir unter anderen Namen reservieren und bestellen oder die Handynummern regelmäßig wechseln. Außerdem gibt es keine festen Zuweisungen eines Inspektors für eine Stadt oder ein Gebiet. War jemand in einer Region unterwegs, kann er frühestens nach zehn Jahren wieder dort als Inspektor die Restaurants besuchen. In den vergangenen Jahren haben wir auch den internationalen Austausch immer weiter ausgebaut. So sind Kollegen aus Frankreich, Belgien oder Italien in Deutschland aktiv und andersherum. 2020 wurde erstmals der „grüne Stern“ in Deutschland verliehen: Was genau hat es mit dieser Auszeichnung auf sich? Das Thema Nachhaltigkeit ist auch in der Gastronomie weit mehr als nur ein Trend. Mit der Auszeichnung des grünen Sterns setzen wir somit mit dem Guide Michelin ein wichtiges Zeichen und prämieren Häuser, deren Philosophie ganz klar auf nachhaltiges Handeln und Arbeiten ausgelegt ist. Dieses basiert auf dem stetig zunehmenden Bewusstsein der Menschen für Regionalität sowie Umwelt- und Ressourcenschonung. Dabei zeigt sich das Bestreben der Gastronomen oft sehr unterschiedlich, angefangen bei der Herkunft und der Qualität der Produkte über die Saisonalität des Menüs bis hin zu Abfallvermeidung und Recycling. Auch die Fähigkeit der Küchenchefs, sein Team und die Kunden für diesen Ansatz zu sensibilisieren, zählt dazu. Den Leserinnen und Lesern hilft der „Grüne Stern“ bei der Suche nach Restaurants mit besonders nachhaltiger Ausrichtung. Welchen Veränderungen unterlag der Guide Michelin in den vergangenen Jahren beispielsweise im Testverfahren oder bei den Bewertungskriterien? Bei den Testverfahren selbst gibt es keine Veränderungen. Wir berücksichtigen aber natürlich, wie sich die Restaurantkonzepte und Küchen über die Jahre weiterentwickelt haben, denn das haben sie ungemein. Wir gehen da stets mit einer offenen Haltung heran, falls ein Restaurant neue oder andere Wege geht, und würdigen das entsprechend, wenn die Leistung auf einem guten Niveau ist. Das lässt sich auch anhand der Auszeichnungen nachvollziehen, die wir in den vergangenen Jahren vergeben haben: Man nehme beispielsweise das Berliner Restaurant CODA Dessert Dining, das vornehmlich auf Basis der Patisserie arbeitet und so 2020 zwei Sterne erlangen konnte. Ein völlig unprätentiöses Restaurant mit einem spannenden Konzept und einer hervorragenden Küche! Es gibt immer mehr Spitzenköche in Deutschland, wie erklären Sie sich das? Gerade in den letzten zehn Jahren hat sich unheimlich viel getan, was man durch die deutliche Steigerung der Anzahl der Sterne-Restaurants hierzulande sieht. Das liegt meines Erachtens an zwei Faktoren: Zum einen gibt es viele, junge, gut ausgebildete und vor allem motivierte Köche, die ein klares Ziel vor Augen haben und stets Höchstleistungen an den Tag legen. Das funktioniert jedoch nur, wenn auch die Nachfrage entsprechend vorhanden ist. So hat sich zum anderen der Qualitätsgedanke verändert, und es gibt immer mehr interessierte Gäste, die offen für diese Art der Küche sind und das wertschätzen können. Ralf Flinkenfl ügel, Direktor des Guide Michelin Deutschland und Schweiz kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen und ist als Inspektor auch „undercover“ unterwegs. Foto: Patrick Zeitler, Guide Michelin

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